Der Hofmaler der Venus

François Boucher in der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe:

Ein sicher sehr kluger Journalisten-Kollege (Name leider entfallen) schrieb neulich, in der Karlsruher Kunsthalle sei ein unbekannter französischer Maler zu entdecken. Daran stimmt einiges: Karlsruhe, französischer Maler (ist nur teilweise zutreffend, wenn man pingelig ist), zu entdecken ist 100prozentig richtig.

14. November 2020 (verlängert) bis 30. Mai 2021: | François Boucher
 © Bild: Staatliche Kunsthalle Karlsruhe: Der Katalog zur Ausstellung;

Allerdings ist François Boucher alles andere als ein „unbekannter Maler“. Jeder einigermaßen-Kenner der bildenden Kunst des Rokokos oder der erotischen Literatur dieser Zeit ist häufig auf François Boucher und seine Radierungen (oder Arbeiten nach Werken Bouchers) gestoßen. Denn der war einer der wirklich großen Meister der erotischen Kunst jener Epoche, in der nicht nur viel gezeigt wird, wenn auch nie alles und schon gar nichts Anstößiges: Boucher öffnet Denkräume und arbeitet dabei gelegentlich mit den gängigen Allegorien.

Kurz: François Boucher (1703 bis 1770) war ein Künstler, der auch für die drallen, wohlgeformten Rückseiten seiner Modelle eine große Vorliebe hatte. Mit dieser Affinität blieb er nicht alleine; dem inoffiziellen Titel „Hofmaler der Venus“ wurde Boucher in vielfacher Hinsicht mehr als gerecht. Die so häufig beschriebene und vor allem in diversen Ausprägungen in der Kunsthistorie gefertigte Venus Kallipygos, oder Aphrodite, von Griechen und Römern gleichermaßen geschätzt und geliebt, stand oder lag in vielen Fällen Modell – zumindest in Bouchers Phantasie. Bei der Arbeit wurde Boucher zum genialen Künstler der Andeutung, des Halb-Verdeckens und Viertel-Offenlegens. Phantasie ist gefragt. Ein wenig.

Das liest sich, wie wenn in der Staatlichen Kunsthalle nur vornehmlich nackte Damen zu sehen wären. Dem ist aber nicht so: François Boucher war ein so mannigfach begabter Künstler, ausgebildet in der Werkstatt seines Vaters, später bei einem Akademielehrer, dass die Zeit in der Staatlichen Kunsthalle wie im Flug vergeht. Mit 20 gewann er den Preis der Akademie, der ihn üblicherweise hätte nach Rom bringen können, Boucher aber verdiente eigenes Geld, indem er für Verlage Gemälde und Kupferstiche kopierte und sich so eine weitere technische Meisterschaft aneignete. Die Romreise holte er später nach.

François Boucher: Schäfer und Schäferin, 1760
© Staatliche Kunsthalle Karlsruhe

Aus Boucher wurde in kurzer Zeit ein Zeichner, Radierer und Maler, der sämtliche Finessen des Rokokos aus dem ff beherrschte. Dazu gehört vor allem ein ungezwungener, aber formvollendeter Umgang mit der Symbolik und den teils sehr überladenden Bordüren (Rocaillen), ohne die sich vor 250 Jahren künstlerisch kaum auskommen ließ; zumindest nicht in Frankreich. Diese Formelemente entstammen in aller Regel der Natur: Blättern, Ranken, Muscheln und Schneckenhäusern (nur beispielhaft).

Karlsruhe verfügt dabei im Staatlichen Museum für Naturkunde über eine Sammlung ganz hervorragender Stücke, von denen einige in der Ausstellung in der Einführung zu sehen sind. Mit Hintergrund: Die Sammlung geht auf Markgräfin Karoline Luise von Baden (1723 bis 1783) zurück, der man in der Ausstellung noch einmal begegnet. Die kunstsinnige Regentin sammelte auch Kunst (der Grundbestand französischer Malerei in der Staatlichen Kunsthalle ist ihr zu verdanken) und das großzügig und mit System und sie war selbst eine begnadete Zeichnerin (und Kopistin), wie zu sehen ist. Und natürlich ließ sie auch Boucher kaufen.

Natürlich sind in der Kunsthalle die großen bekannten Gemälde Bouchers zu sehen, wie das Porträt der Madame Pompadour, dem praktisch ein eigener Saal gewidmet ist (dabei auch Cindy Shermans Porzellan-Terrine mit Rokoko-Motiven und Pompadours). Viel beeindruckender als der großformatige „Edelschinken“ aber sind Bouchers Landschaftsgemälde, die in vernünftigen Formaten nur aus der Nähe zu betrachten und zu wertschätzen sind.

Das gilt uneingeschränkt auch für Zeichnungen in allen möglichen Stift-Techniken, ob verwischt, gehöht, auf getönten Papieren oder in Rötel und Kohle. Allesamt technisch brillant und der näheren Betrachtung mehr als nur einen Blick wert. Da ist es auch wirklich wurscht (badisch: völlig egal), ob den Betrachter das Sujet anspricht, oder er es eher ein wenig langweilig findet. Das gibt sich beim ersten ernsthaften Blick.

Der großartige Katalog wird sicher zu einem Standardwerk zu Boucher werden. Er glänzt nicht nur mit hervorragenden Abbildungen und ist mit enormer und spürbarer Liebe gestaltet. Ganz wichtig für Nicht-Kunsthistoriker: Alle Beiträge sind lesbar und vor allem zu verstehen. Und das ist ja nicht immer so…

Derzeit ist die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe aus den bekannten Gründen (leider wieder) geschlossen. Wann die bereits deutlich verlängerte Präsentation (angedacht bis 30. Mai) wieder zu sehen sein wird, steht in den Sternen.

Auskünfte gibt es telefonisch unter 0721 9 26 26 96 oder bei https://www.kunsthalle-karlsruhe.de/.Katalog (erste Monographie zu F. Boucher): Wienand Verlag, 30×24 cm, ISBN 978-3-86832-581-2, 368 S., 294 farb. Abbldg., in der Ausstellung 34,90 €, Buchhandel 45 €