Niemals besser als jetzt.

Dr. Nicole Fritz über den Maler Daniel Richter.

Vorbemerkung von Jürgen Linde: Begegnung mit Daniel Richter
Vom 06. Mai bis zum 03. Oktober ist die große Ausstellung „Daniel Richter“ in der Tübinger Kunsthalle zu erleben. Ein schöner Anlass, um den den in Berlin und Wien lebenden Künstler in einem Künstlerporträt vorzustellen.

Dr. Nicole Fritz, die Direktorin der Kunsthalle, die auch die Ausstellung kuratiert hat, hat uns dazu ihren erhellenden Katalogbeitrag zur Verfügung gestellt, wofür wir ihr herzlich danken. Auf diese Weise haben wir einmal mehr eine Ko-Autorin in unserer Porträtliste : So können wir zeitnah zur laufenden Ausstellung ein hochkompetent verfasstes Porträt liefern.

Selbst möchte ich dazu nur eine eher launige Schilderung meiner Begegnung mit Daniel Richter voranstellen:

Niemals besser als jetzt.

“Schau Dich um, Valdemar, mein Junge. Besser als jetzt wird das Leben nie mehr.
Niemals besser als jetzt.“

Håkan Nesser in „Das zweite Leben des Herrn Roos“

Von Nesser habe ich noch nichts gelesen” verrät mir Daniel Richter, als er in der Caféteria der Kunsthalle Tübingen auf mich zukommt. Wie fast immer, wenn ich (mit Bus und Bahn) unterwegs bin, habe ich ein Buch dabei, um so die Fahrt- und Wartezeiten sinnvoll zu nutzen.

Schnell kommen wir auf die überwältigende inhaltliche Fülle schon der frühen Arbeiten des international erfolgreichen Malers zu sprechen.

Ausstellung Kunsthalle Tübingen 06.05.-03.10.2023 DANIEL RICHTER Bild: Kunsthalle Tübingen/ Ulrich Metz

Alles, was ihn bewegt macht Richter zum Gegenstand seiner künstlerischen Auseinandersetzung. Politik und Gesellschaft sind immer wieder Themen, genauso aber auch gesellschaftliche wie persönliche, existentielle Befindlichkeiten. Alles, nicht mehr und nicht weniger. Vielfalt führt nicht zur Beliebigkeit – im Gegenteil: Die Werke Richters, dem die Malerei als solche niemals aus dem Blick gerät, vermitteln den Eindruck von Konzentration und Fokussierung und überzeugen auch durch ihre Zeitlosigkeit. Vor der Fahrt nach Tübingen hatte ich nochmal Daniel Richters vor 20 Jahren entstandenes Katalogbuches “Hirn“ (zu seiner Ausstellung beim Neuen Berliner Kunstverein“) zur Hand genommen. Die Bilder im Katalog haben nichts an Aktualität verloren. Die ganz aktuellen Arbeiten Richters können wir als eher reduztiert betrachten, wobei der Künstler, wie er mir erklärt “…in dem Weniger ein Mehr an Freiheit” findet.

Ausstellung Kunsthalle Tübingen 06.05.-03.10.2023 © DANIEL RICHTER; VG Bild-KUnst Bonn, 2023
© Bild: Kunsthalle Tübingen/ Ulrich Metz

Die inhaltlichen Fülle verbindet die Literatur von Håkan Nesser mit der Kunst Daniel Richters: Die Krimihandlung als Rahmen nutzend, schreibt Nesser über alles, was ihm wichtig ist. Der frühere Punk Daniel Richter sieht sich und seine malerische Arbeit auch der Musik verbunden – und der Literatur: Schon im Jahr 2001 wählte der Künstler mit “Billard um halbzehn“einen Romantitel von Heinrich Böll als Ausstellungs-Titel. Daniel Richter, offenbar glücklich mit der Gestaltung seiner retrospektiv angelegten Schau in der Kunsthalle Tübingen, verströmt enorme Energie und wirkt deutlich jünger als er ist.

Dennoch kommen wir kurz auf das Alter zu sprechen; wir sind beide im letzten Jahr 60 geworden. So behaupte ich im Gespräch, dass die Zeitlosigkeit, die Richters Bilder auszeichnet, dialektisch verbunden ist mit der Kehrseite derselben Medaille – der Vergänglichkeit. Als Künstler wohl schon heute “unsterblich“, ist Richter derzeit auf dem (vorläufigen) Höhepunkt seiner Karriere – und nichts spricht dagegen, dass dies auch immer so weitergeht.

Umso mehr freue ich mich, als der Künstler mir – und dem philosphierenden Schriftsteller Nesser, dessen zwei Sätze (siehe oben) ich ihm vorlas, entschieden zustimmt: Wenn wir innehalten und nachdenken, so können wir erkennen:

Das Leben wird Niemals besser als jetzt.
Jürgen Linde im Mai 2023

Dr. Nicole Fritz: Daniel Richter

Bild links: Daniel Richter: Hey Joe, 2022 (Detail);
© VG Bild-Kunst, Bonn, 2023

Daniel Richter (1962) zählt zu den bedeutendsten Malern seiner Generation. Über die letzten drei Jahrzehnte hat der heute in Berlin und Wien lebende Künstler mit einer unermüdlichen schöpferischen Kraft und Experimentierfreude ein großes Œuvre geschaffen. Der vitale und vielschichtige Bilderstrom Daniel Richters speist sich sowohl aus bestehenden Bilderwelten als auch aus inneren Imaginationen – er ist subjektiv und kollektiv zugleich. Indem Richter Versatzstücke der Populärkultur, der Medien und Stilelemente der Kunstgeschichte emotional auflädt, führt er den expressionistischen Unmittelbarkeitsgestus auf konzeptuelle Weise weiter und befragt die Möglichkeiten der Malerei jenseits stilistischer Festschreibungen immer wieder neu.

Die künstlerischen Anfänge von Daniel Richter liegen im Bereich der angewandten Kunst. So entwarf Richter in den 1980er Jahren Plattencover und Plakate von Bands. Von 1991 bis 1995 studierte er dann an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg Malerei. In Auseinandersetzung mit der figurativen neoexpressionistischen Malerei eines Werner Büttner, Martin Kippenberger und Albert Oehlen entwickelte Richter zunächst seine eigene bunte, vom abstraktornamentalen Graffiti inspirierte Malweise, die zu Beginn noch die Punk-Attitüde der Hamburger Subkultur atmete. Um das Jahr 2000 entdeckte Daniel Richter dann die Figuration für sich. Sie ermöglichte es ihm, seine Erfahrungen mit der Welt und seine Vorstellung davon erzählerisch in die nonverbale Sprache der Malerei zu übersetzen. Angeregt von Zeitungsfotos und Geschichtsbüchern entstehen großformatige, bühnenartige Historienbilder. Allegorien gleich leuchten sie gesellschaftliche Randfiguren, soziale Dramen und krisenhafte geschichtliche Ereignisse aus. Neben großen Gesellschaftspanoramen stehen kleine intimere Bilder, symbolistische Selbstporträts und Stillleben, die die conditio humana des Gegenwartsmenschen spiegeln.

Bild rechts: Daniel Richter: Another wasted Night, 2020; Öl auf Leinwand, 230 x 180 cm; Privatsammlung Lütjenburg, © VG Bild-Kunst, Bonn, 2023; Foto: Joachim Littkemann, Berlin

Seit dem Jahr 2015 wird das Motivrepertoire und auch die Malweise Richters wieder zunehmend abstrakter. Inhaltliche Motive wie Pornobilder aus den Medien oder Postkarten von Kriegsversehrten aus dem Ersten Weltkrieg muten nur noch an wie ein Impuls und erster Anstoß für die ästhetische Auseinandersetzung mit den formalen Mitteln Farbe, Linie und Fläche, die jetzt im Vordergrund zu stehen scheinen. Diese Ergebnisse der neuesten Werkphase sind jedoch alles andere als l’art pour l’art. Obwohl abstrakter und weniger narrativ, spiegeln sie dennoch den Zeitgeist einer krisenhaften und spannungsvollen Gegenwart. Die retrospektiv angelegte Schau der Kunsthalle Tübingen stellt das Schaffen Daniel Richters – in seinen Hauptund Nebenwegen – erstmals seit vielen Jahren wieder in Deutschland im Überblick aus. Im Mittelpunkt der Schau steht der figurative Impuls bei Daniel Richter und die Frage, wie der Künstler anhand des figürlichen Repertoires in seinem Werk das Verhältnis von Mensch, Körper und Gesellschaft sowie von innerer und äußerer Realität über die letzten drei Jahrzehnte inhaltlich und stilistisch immer wieder neu thematisiert.

Kuratorin Dr. Nicole Fritz; kuratorische Assistenz: Zita Hartel