Dreiunddreißig – Min Bark und Jan-Hendrik Pelz

Die erste Präsentation:
Dreiunddreißig von 10.10. – 01.11.2023 im Staatstheater Stuttgart

Min Bark und Jan-Hendrik Pelz | Gemeinsames Kunstprojekt im Jahr 2023

Min Bark & Jan-Hendrik Pelz: Dreiunddreißig
Im Stuttgarter Wohnhaus Sonnenbergstrasse 33 lebte bis 1933 der jüdische Rechtsanwalt Dr. Albert Mainzer mit seiner Frau Franziska Grünwald. Nach ihrer Deportation wurde das Ehepaar ins Konzentrationslager Theresienstadt gebracht.

Dr. Mainzer starb 1944 in Auschwitz. Die Sonnenbergstrasse 33 ist seit vielen Jahren der Wohnort von Min Bark und Jan-Hendrik Pelz, die als Künstlerpaar gemeinsam leben und arbeiten. Die Arbeit „Dreiunddreißig“ stellt eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit des Hauses und dessen Bewohnern dar, wobei die überdauerten Relikte des Ortes als Grundlage für eine Auseinandersetzung mit der Gegenwart dienen.
„Dreiunddreißig“ erschließt sich dem Betrachter als „begehbare Skulptur“ von innen sowie von außen. Die Außenseite ist mit Ölmalereien sowie mit Teppichen verkleidet, welche die Motive der Malerei in textiler Form wiederaufnehmen. Die Abbildungen zeigen Artefakte aus der Zeit um 1933, die im Wohnhaus heute noch sichtbar sind. Im Inneren der Installation gibt eine Klanginstallation Auskunft über das Leben und den Tod der ehemaligen Bewohner.

Konzept
Beim Einzug in die Sonnenbergstrasse 33 wurden wir durch den dazugehörigen Stolperstein mit der Vergangenheit des Ortes konfrontiert und begannen, uns mit der Geschichte des Hauses und dessen Bewohnern auseinander zu setzen. Die vorherigen Eigentümer hatten in den Räumen ein Tonstudio für Radio- und Werbeaufnahmen betrieben, wodurch einige Räume mit teppichartigen Wandbehängen verkleidet waren. Die hierdurch begründete eigenartige Stille sowie der Hinweis auf die Deportation der Bewohner im Dritten Reich waren die ersten Eindrücke, die wir bis heute mit der Besonderheit des Ortes verbinden.
Es blieben im Haus einige Relikte aus der Zeit um 1933 erhalten, dazu zählen u.a. Teile des Mauerwerks und Kopfsteinpflaster, Wandteile im Keller sowie Bodenfließen im Flur. Uns wurde klar, dass Dr. Mainzer und dessen Frau diese Bereiche damals genauso sahen, mit ihnen lebten und mit dem Ort verbanden wie wir noch heute.
„Dreiunddreißig“ stellt eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, jedoch aber auch mit der Gegenwart und unserem Leben in der Sonnenbergstrasse 33 dar. Der Titel verweist einerseits auf die Hausnummer, andererseits auf das Jahr der Machtergreifung der Nazis. Im selben Jahr wurde außerdem der Auszug von Dr. Mainzer und dessen Frau erzwungen, seine Kanzlei musste in ein jüdisches Haus in der Eberhardstraße verlegt werden.
Jan-Hendrik Pelz wird sich in einem ersten Schritt den übriggebliebenen Relikten der Vergangenheit in Form von Malerei nähern. Dabei entstehen zwölf Ölgemälde in realistischer Malweise, die die Struktur und Beschaffenheit der Bausubstanzen festhalten. (Die hier gezeigten Fotografien zeigen vorerst mögliche Motive für die geplante Malerei.)
In einem weiteren Schritt werden Scans dieser Malereien auf Teppiche gedruckt. Die Wahl dieses Materials bezieht sich zum einen auf das Tonstudio und dessen Wandverkleidungen, das vor unserem Einzug hier betrieben wurde. Zum anderen verweist die hierdurch entstehende Isolation und Stille sinnbildlich für das Schweigen und „Nicht-sehen-wollen“ der NS-Zeit.
Min Bark widmet sich der dreidimensionalen Ausformung und Umsetzung der gemeinschaftlichen Skulptur. Das Modell aus Holz und Pappe ist ein erster Entwurf, der sich in seiner Form auf das reale Haus und auch auf den Stolperstein bezieht. Der begehbare Kubus ist auf einer Seite um 10 Prozent abgesenkt, wodurch der Eindruck einer schiefen, absinkenden Behausung entsteht. Wie die Stolpersteine, über die man im
wahrsten Sinne des Wortes aus dem Alltag herausgerissen und „stolpern“ soll, zeigt die Neigung, dass etwas „in Schieflage“ gekommen ist, weitab vom Normalen, Häuslichen und Sicheren. Hier verzerrt sich die Lage ins Unberechenbare.

Das Grundgerüst aus Holz wird schließlich mit den Teppichen, sowie jeweils einer originalen Malerei an jeder Seite, von außen und innen verkleidet. Hierdurch entsteht ein stiller, isolierter Raum, der begehbar ist.
Im Inneren ist (über eine installierte Soundbox) ein gesprochener Text über Dr. Mainzer und dessen Leben und Deportation zu hören. Hierfür könnte – nach Absprache – der entsprechende Text aus dem Buch „Stolpersteine“ oder ein selbst verfasster Text eingesprochen werden.
Das entstandene Modell zeigt beispielhaft und anhand von Fotografien möglicher Motive den Aufbau der Installation. Hierbei sei zu beachten, dass sich beim fertiggestellten Kubus durch seine Beschaffenheit und Textur ein sehr spannender, visueller Eindruck ergeben wird, der mit dem vorliegenden Modell nur ansatzweise vermittelt werden kann.
Zusammenfassung und Anliegen
„Dreiunddreißig“ soll die Geschichte und das Leid der systematisch durch die NS-Regierung verfolgten Menschen an einem ausgewählten Fall nachvollziehbar und begreiflich machen. Durch die konzeptuelle Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart sowie den gesprochenen Text über Dr. Mainzer und dessen Frau werden die Verbrechen greif- und nachvollziehbar. Die ansprechende visuelle sowie haptische Form des Kunstwerks vermindern die Hemmschwelle gegenüber der schwierigen Thematik, ohne diese zu banalisieren.