Kunstverein Damianstor Bruchsal | 17.11. – 15.12.2024 | Gabriele Morschett: Zeichnungen, Druckgrafik und Drahtobjekte
Einführungsrede zur Vernissage der Ausstellung Gedankenwelt von Gabriela
Morschett
Kunstverein Bruchsal „Das Damianstor“ am 17.11.2024
Der Titel einer Ausstellung kann einen inhaltlichen Rahmen abstecken, Erwartungen wecken oder provozieren, auf jeden Fall soll er neugierig machen. Beim Betrachten der Werke inspiriert er oder lenkt das Verständnis sogar in eine bestimmte Richtung. Er kann aber auch irritieren oder ratlos machen. Was nun erwartet uns unter dem Titel Gedankenwelt in der Ausstellung von Gabriela Morschett? Es sind abstrakte Tusche- und Graphitzeichnungen aus feinen Linien unterschiedlicher Dicke und Stärke sowie ästhetische Objekte aus schwarzgeglühtem Eisendraht, in denen Gabriela Morschett ihre Gestaltungsprinzipien ins Dreidimensionale transponiert hat. Die Arbeiten stammen hauptsächlich aus den vergangenen fünf Jahren und bis auf die 2015 entstandene Plastik Balance, die auf ihrem Sockel eingangs der Ausstellung in den Blick fällt, handelt es sich um Wandobjekte. Zwischen ihnen und den Blättern gibt es kompositorische und formale Bezüge, die durch die Hängung ersichtlich werden und charakteristische Konstanten im Schaffen der Künstlerin markieren, zumal die Werke oft Jahre auseinander liegen und unterschiedlichen Serien angehören.
Bild oben: Gabriela Morschett : Organische Formen Nr. 07
Gabriela Morschett kommt von der Grafik her und ihre Linien sind unruhig, impulshaft wie Ausschläge eines Diagramms, spitzwinklig in alle Richtungen weisend, sich knäuelartig überlagernd wie um als fädrig verdichtete, leichte Ballen durch den Bildraum zu schweben; ein großzügiger Bogen kann die Komposition umspielen. Tiefschwarze Tuschestriche wechseln mit Graphitstift in modulierendem Grau, so dass verschiedene Bildebenen entstehen. Feiner Graphitstaub liegt wie dünner Nebel auf einzelnen Partien und als letztlich dominantes Zentrum ist in virtuoser Technik farbige Tusche aufgesetzt. Sie ist in einem Stück aufgetragen und entfaltet ein faszinierendes Farbspektrum, das zum Blickfang für den Betrachter wird und in ihrem Entstehen ein Geheimnis der Künstlerin und des Zufalls farbchemischer Prozesse bleibt. Einige dieser Farbformen erhalten punktuell einen Auftrag von Schellack, der kompakt und leicht glänzend ist. Er steht in reizvollem Gegensatz zu den zerfließenden, immer transparenter auslaufenden Tuscheflächen, die eine materielle Bewegung und Auflösung visualisieren. Gabriela Morschett verwendet als Bildträger mehrfach verleimten, glatten Bristolkarton, der die Farbe nicht aufsaugt und sowohl für zarte Töne als auch für fein differenzierte Linien besonders geeignet ist. So schafft die Künstlerin eine gelungene Synthese zwischen Malerei und Zeichnung. Es entstehen Serien von durchschnittlich 30 bis 40 Blatt, die in einem bestimmten Zeitraum, aber nicht zwingend mit motivischen, thematischen oder sonstigen Gemeinsamkeiten geschaffen werden. Sie erhalten auch erst im Nachhinein ihre weitgehend deutungsoffenen Titel wie die Serie Jetztzeit von 2015 oder – im 2. Obergeschoss – die Serie Geschichte, neu erzählt von diesem Jahr.
Doch zurück zum Ausstellungstitel und damit zu den Drahtobjekten, die fast noch eher als visualisierte Gedanken zu erkennen sind denn die Zeichnungen, nämlich in den Nervenbahnen, deren Aktivierung sonographisch und neurographisch beobachtet werden kann. Der Gedanke selbst bleibt für unsere Sinneswahrnehmung immateriell und damit unsichtbar, doch seine Wege lassen sich über die Nervenfasern, ihre Synapsen, die Aktivierung unterschiedlicher Gehirnareale mittels neuer Bildgebungstechniken verfolgen. Die Verdichtung von Gedanken, ihr Vor und Zurück, ihre schier unauflösliche Verstrickung und schließlich ihre Auflösung sind in den Plastiken aus dicken, schwarzen und das Licht schluckenden Drähten sowie hauchdünnen glänzenden Drähtchen materialisiert.
Gedankenverknüpfungen, Assoziationen, Denkblockaden, ein sprühender oder ein träger Geist, der ‚Flow‘ werden anschaulich. Das Denken ist Energie, sein Inhalt bleibt unzugänglich, im Dunkeln, eben auch im Dunkel der Drähte, deren Ausrichtung sich organisch entwickelt; die sich kokonartig verbinden oder rhythmisch in verschiedene Richtungen führen und auseinanderstreben. Für Gabriela Morschett, die aufmerksam die Erkenntnisse der Neurologie verfolgt und nach gestalterischen Ausdrucksmöglichkeiten für das Denken sucht, sind die plastischen Formen eine Übertragung von Lebenszuständen, von Wahrnehmungen der Welt, die durch Freude, Trauer, Verliebtsein geprägt sind. Mittels neuronaler Netzwerke sind wir eingesponnen in das eigene Denken, das substanziell unfassbar und dessen Konsistenz variabel ist, das sich nur sinnbildlich fassen lässt. Mit Sprachbildern wie dem Gedankenflug, einem Denkknoten, Denkmustern oder der Macht der Gedanken benennen wir sprachlich die kognitiven Kräfte, denen Gabriela Morschett bildnerisch Gestalt und Form gibt. Dabei schafft sie in ihren Kompositionen Zentren, wie sie auch das Gehirn als Schaltzentralen erkennen lässt, und Strukturen, die den geheimen Wirkmechanismus als komplexes Verbindungssystem zeigen, ohne doch das Wesen und die Dynamik des Geistes erklären zu wollen oder zu können. Die Schönheit in der Anschauung dieser Objekte ist sich selbst genug.
Dr. Martina Wehlte