Uli Rothfuss | Literarisches Leben | 2025 | Ein Beitrag zum 125. Geburtstag von Hermann Kesten
Engagiert für die Freiheit des Wortes und PEN-Präsident in einer Zeit des Umbruchs
Von Uli Rothfuss
Was er wohl zu dieser verstörenden Zeit heute sagen würde, unser zu Ehrender, Hermann Kesten. Als Schriftsteller, als politisch Denkender, als grundlegend humanitär eingestellter Mensch? Zu einer Zeit, in der die Politik geradezu marktschreierisch den Radikalen hinterherläuft, in das alte Muster verfällt, um nicht zu sagen: darauf hereinfällt, mit Parolen die Stammtische zu erobern. Manchmal kann man als sich etwas Distanz erlaubender Mensch nur den Kopf schütteln angesichts der künstlichen Emotionalisierung von Inhalten, der bewussten Vermischung von Inhalten und der verantwortungslosen Inkaufnahme, dass sich die Gesellschaft polarisiert, aufheizt.

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Kesten, Hermann*28.01.1900-03.05.1996+writer, Germany /USA- Photographer: UMBO / Dephot- Published in Tempo 12.06.1930Vintage property of ullstein bild (Photo by UMBO/ullstein bild via Getty Images)
Hermann Kesten.
Ein Streitbarer. Engagierter Literat. Retter, Unterstützer verfolgter Künstler in der Nazizeit. Emigrant, nach Frankreich, in die USA. Jude. Rückkehrer. PEN-Präsident in der Bundesrepublik in einer Zeit der politischen und gesellschaftlichen Umbrüche. Humanist, Weltbürger und, heute würde man sagen Menschenrechtsaktivist. Ein Einmischer. Und ein Schriftsteller, der wichtige, heute noch wichtige Bücher verfasst hat.
Hermann Kesten, der heute seinen 125. Geburtstag feiern würde, ist ein facettenreicher Mensch. Geboren 1900 in Podwoloczysla im Königreich Galizien, damals Österreich Ungarn, gestorben 1996 in einem jüdischen Altersheim in Basel, gilt als einer der Hauptvertreter der literarischen „Neuen Sachlichkeit“ der 1920er Jahre in Deutschland. Ein großer Literat und großer Kämpfer für die Menschenrechte, allem voran für die Freiheit des Wortes.
Moralist und Skeptiker.
Es wurden ihm Etikette umgehängt: Moralist zu sein, Skeptiker. Und Humorist.
Moralist und Wortkünstler, titelte die Süddeutsche Zeitung 1950;
Humor der Distanz Die ZEIT im selben Jahr;
Ein Humanist mit Skepsis Die Neue Zürcher Zeitung 1980.
Moralist, Skeptiker und Humorist – diese Bezeichnungen im Verbund zeigen uns den scharfen Beobachter, denjenigen, der zwischen Nähe und Distanz gekonnt changiert und dann seine Beobachtung mit scharfer Feder auf das Papier bringt. Das untermauert mit Bildung, mit scharfem Verstand und mit brillianter Fabulierkunst.
Und Präsident des westdeutschen PEN (1972-76).
Hermann Kesten
war von 1972-76 Präsident des damals westdeutschen PEN-Zentrums. Der PEN, Poets, Essayists, Novellists – also Dichter, Essayisten und Romanautoren, heute auch geöffnet für Übersetzer, Schreibende in den sogenannten neuen Medien, wurde 1921 in London gegründet und ist der größte, internationale Schriftstellerverband mit immer noch Sitz in London, und mit weit über 150 PEN-Zentren, die sich zumeist an Ländern und Sprachgruppen orientieren. In Deutschland gibt es mehrere – neben dem PEN-Zentrum Deutschland als größtes und am längsten bestehendes, das PEN-Zentrum Berlin, auch das sogenannte Exil-Zentrum des deutschen PEN, Überbleibsel aus der Gründung der deutschsprachigen Exilautoren in der Zeit des Nationalsozialismus, hat seinen Sitz in Deutschland, und auch das kurdische PEN-Zentrum im Exil.
Der PEN hat sich international insbesondere dem Schutz und dem Wirken für das freie Wort verschrieben. Ein Mitglied muss sich durch Unterschrift zu der Charta des PEN bekennen – in der ausgeführt ist, dass, Zitat:
„Mitglieder des PEN sollen jederzeit ihren ganzen Einfluss für das gute Einvernehmen und die gegenseitige Achtung der Nationen einsetzen. Sie verpflichten sich, mit äußerster Kraft für die Bekämpfung jedweder Form von Hass und für das Ideal einer einigen Welt und einer in Frieden lebenden Menschheit zu wirken.“
Eine Herausforderung, gerade in der heutigen Zeit. Aber auch in der Zeit, als Hermann Kesten Präsident des westdeutschen PEN wurde, waren herausfordernde Zeiten – und er bekannte sich nicht nur zu diesem Grundsatz, sondern er lebte ihn aktiv, er setzte sich ein, diesen Grundsatz, auch gegen Widerstände, durchzusetzen.
Als Mitglied im Präsidium des PEN-Zentrums Deutschland und im Advisory Board des Writers-for-Peace-Committee des Internationalen PEN, in dem wir zur Zeit mehr denn je seit Ende des Zweiten Weltkriegs mit Kriegen und Konflikten weltweit, mit verstörenden politischen Entwicklungen dies- und jenseits des Atlantiks, mit vorsätzlich falsch verstandener Freiheit des Wortes zu kämpfen haben, verbindet mich eine besondere Nähe mit diesem streitbaren Hermann Kesten, und ich will den Fokus ein wenig auf sein humanistisches, menschenrechtliches – mit Literatur -, und damit auch politisches Engagement legen, das wichtig ist; freilich verdient es gerade in diesem Kontext sein umfangreiches literarisches Werk, wieder und immer wieder gelesen zu werden. Ich nenne nur wenige Titel: Josef sucht die Freiheit (Kiepenheuer, 1927). Der Gerechte (Allert de Lange, 1934). Meine Freunde, die Poeten (Donau Verlag, 1953). Dichter im Café (Desch, 1959). Und, ganz in Bezug auf Nürnberg: der zuerst im Exil erschienene Roman Die Zwillinge von Nürnberg (A.A. Wyn, New York 1946; S. Fischer, Frankfurt 1948). Mit Menschen leben. Ein Nürnberger Lesebuch, ein posthum herausgegebenes Lesebuch (ars vivendi, 2000). Schon diese wenigen Titel zeigen uns die Ausrichtung – Freiheitssuche, mit Menschen leben, gerecht sein, Freunde haben. Und immer der Rückbezug auf den Kindheitsort Nürnberg. Das ist Hermann Kesten.
Hermann Kesten war von 1972 bis 1976 Präsident, danach Ehrenpräsident des zu der Zeit noch westdeutschen PEN-Zentrums – er wohnte seit 1953, nach seiner Rückkehr aus dem Exil in den USA, seit 1949 amerikanischer Staatsbürger, in Rom, das bis 1977 sein Hauptwohnsitz war. Später lebte er in Basel. Und immer wieder besuchte er zu Anlässen die Stadt seiner Kindheit Nürnberg.
Kurze Biografie.
Kesten, Kind einer jüdischen Kaufmannsfamilie, wuchs in Nürnberg auf. Im Jahr 1919 legte er am Humanistischen Königlich Alten Gymnasium in Nürnberg sein Abitur ab, studierte dann von 1919- 1923 Jura und Nationalökonomie, Geschichte und Philosophie in Erlangen und Frankfurt am Main. Man muss nicht Psychologe sein, um zu wissen, dass wesentliche Prägungen für das Leben in der Kinder- und Jugendzeit geschehen. Die erlebte Hermann Kesten in Nürnberg – im alten, im Nürnberg vor dem Krieg. Als Kind einer jüdischen Familie erlebte er freilich auch schon hie und da Ausgrenzung – Judenverfolgung mit Deportation von Familienangehörigen, die Reichsparteitage und Rassengesetze in Nürnberg erlebte er nicht mehr. Er etablierte sich als Autor, zog 1927 nach Berlin, wo er als Autor und Lektor im Gustav Kiepenheuer Verlag arbeitete, dort erschien auch sein Debutroman „Josef sucht die Freiheit“ – erster Teil einer Tetralogie „Das Ende eines großen Mannes“, die Kesten bis 1932 mit drei weiteren Romanen fertigstellte. Weitere Romane folgten, vor allem aber auch die Bekanntschaft mit den Großen dieser Zeit: Bertold Brecht, Erich Kästner, Joseph Roth, Anna Seghers, Heinrich, Thomas und Klaus Mann.
Start geprägt haben ihn und sein späteres Engagement Flucht und Exil – zunächst, 1933, nach Frankreich, Paris und dem Exilort vieler Flüchtenden in Sanary sur Mer am Mittelmeer, mit Reisen nach London, nach Belgien und in die Niederlande. Ihm gelang die Flucht mit einem Besuchervisum in die USA, New York, und dort engagierte er sich für die Rettung deutschsprachiger Autoren und Kulturschaffender vor Verfolgung – der große Stefan Zweig nannte ihn in diesem Zusammenhang den „Schutzvater .. aller über die Welt Versprengten“ (1).
Und Nürnberg.
Nürnberg erlebte er dann erst wieder, und wirkte aktiv daran mit, wie sich die Stadt nach dem Krieg wegbewegte von der schwärzesten Vergangenheit – und sich als Stadt der Menschenrechte etablierte, ein langer Weg – und Hermann Kesten hat seinen Anteil daran: indem er das Preisgeld für den ersten internationalen Nürnberger Menschenrechtspreis stiftete; indem er Zeit seines Lebens und Wirkens als Schriftsteller eintrat für das freie Wort – auch wenn er sich im konkreten Umgang mit Kollegen manchmal vergaloppierte.
Und diese Äußerung kennzeichnet Hermann Kesten passgenau wie kaum eine andere: Er blieb dieser Schutzvater für die Versprengten, für die Flüchtenden, für die durch die Zeitläufte und Weltläufe Verstörten, ein Leben lang, engagiert und nicht nur in seiner Literatur beschreibend und fordernd, sondern mit konkretem Einsatz für diese Versprengten: durch, z.B., die Schaffung 1995 und Finanzierung der ersten Verleihung des Internationalen Nürnberger Menschenrechtspreises, der bis heute verliehen wird und ein international hohes Renommee erlangt hat; durch sein konkretes Wirken als PEN-Präsident, dem Wort, der Wirkung des freien Wortes, verpflichtet, konsequent und eindringlich, wie heute noch nachhör- und -lesbar ist.
Hohe Auszeichnungen wurden ihm im Lauf seines Lebens zuteil: In Nürnberg soll natürlich der Preis der Stadt Nürnberg erwähnt sein, aber auch der Georg-Büchner-Preis 1974, der renommierteste deutsche Literaturpreis, 1977 der Nelly-Sachs-Kulturpreis, 1978 die Ehrendoktorwürde der Universität Erlangen-Nürnberg, 1980 wurde er als Ehrenbürger der Stadt Nürnberg geehrt, und 1982 wurde er mit der Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin geehrt. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts war Hermann Kesten einer der meistgelesenen Autoren im deutschsprachigen Raum; das aufzunehmen durch die Pflege seines Werks und Andenkens sollte dieser Geburtstag und die Erinnerung an den großen Humanisten und Literaten auch sein, in einer Zeit, in der solche großartigen Geister heute fehlen, in der auch durch den rasanten Wandel in der Welt der Medien, der Orientierung der, vor allem, jüngeren Menschen bloß noch zu den Sozialmedien und weg von Beständigkeit, engagierte Literatur Gefahr läuft, ins Leere zu gehen; insofern haben wir Schätze, die es zu heben gilt – in Nürnberg in der Stadtbibliothek, wo ein Teil des Nachlasses Hermann Kestens liegt, und vor allem in der Münchner Monacensia, der Handschriftenabteilung der Münchner Stadtbibliothek.
Hermann Kesten war aber keiner, der seine Verdienste stolz vor sich hertrug. Ja, er war und agierte selbstbewusst, das kann aus seinen Briefen herausgelesen werden, in denen er seine Standpunkte vertrat und auch Äußerungen anderer korrigierte, z.B. in dem langen Brief an Hertha Pauli vom 25.12.1970, in dem er umfassend zu seiner Tätigkeit im Exil im Emergency Rescue Comittee Stellung nahm.
Ein Erfinder von Figuren.
„Ich bin der ich bin“ – der Titel dieses Gedichts von 1974 kennzeichnet ihn in seiner Selbstwahrnehmung wohl am besten. Ein paar Strophen daraus, die unseren Hermann Kessen uns noch deutlicher machen:
„Je länger ich mit mir umgehe, um so weniger kenne ich mich.“
„Ich hatte hunderte Freunde. Tausende kannte ich bei Namen.“
„Ich bin der ich bin.
Einer der mit Schatten spielt.
Ein Erfinder von Figuren.
Erzähler absurder Geschichten aus deinem und meinem Leben.“
Zum 100. Geburtstag gab die Stadt Nürnberg eine Festschrift über Hermann Kesten heraus, mit dem Titel „Ich hatte Glück mit Menschen“ – das hört sich versöhnlich an; im Leben von Herman Kesten gab es auch Anfeindung, abseits der Verfolgung und Nachstellung durch die Nazis, der erzwungenen Flucht, Anfeindungen von „Freunden“. Und, sagt der Dichter, er hatte Glück mit Menschen. Dieses Buch, eine, wie es der Herausgeber Wolfgang Buhl nennt „Hommage des Dichters an Nürnberg“, darin die Aussage von Kesten: „.. ich habe überall auf der Erde nach einiger Zeit den Wunsch abzureisen.“ (2)
Zu Nürnberg, obwohl nicht dort geboren, aber aufgewachsen, hatte Hermann Kesten immer eine besondere Beziehung, und kehrte immer wieder gerne zurück – bis kurz vor seinem Tod. Zum Beispiel zu einem Rundfunkinterview anlässlich seines 85. Geburtstages. Die „süßen Jahre der Kindheit und der Jugend“ verbänden ihn dahin, äußerte er – er wird andererseits „trotz Hans Sachs“, meint einer der Herausgeber, „Nürnbergs ranghöchster Dichter“ bezeichnet zu seinem 80. Geburtstag.
Sein Engagement für das freie Wort.
Hermann Kesten trat als Präsident des westdeutschen PEN 1972 die Nachfolge von Heinrich Böll an. Kein leichtes Erbe. Thilo Koch, Autor und Filmemacher, langjähriger Begleiter von Hermann Kesten, damals Generalsekretär des PEN, erinnert sich in einem Brief an Hermann Kesten (3):
„Du warst es, Hermann, der 1956 meine Aufnahme in den PEN vorgeschlagen hatte. Du selbst warst PEN-Urgestein, schon in der Emigration hast Du auch mit Hilfe dieses Clubs vielen verfolgten Schriftstellern tatkräftig helfen können. .. Du warst hier literarisch längst eine Figur des geistigen Lebens, als hoch geachteter Zeuge der so fruchtbaren deutschen Geistesgeschichte zwischen den beiden Weltkriegen. Aber in Deutschland leben, in Deutschland sterben – das war nicht nach Deinem Geschmack. .. Dich einen Bayern zu nennen, so wie Thomas Mann ein Lübecker war, wäre ein Witz. In Deutschland passtest Du wohl am ehesten zu Berlin, wo Du in den sogenannten Goldenen Zwanziger Jahren bis zur Machtergreifung 1933 gelebt und gewirkt hast. .. Immerhin, Du bist in Bayern aufgewachsen, und zwar in der bedeutendsten Stadt des fränkischen Bayern, in Nürnberg. Dieses Nürnberg hat Dir, Hermann, stets die Treue gehalten, so wie das keinem anderen Autor mit seiner Heimatstadt widerfahren ist. Nürnberg war und ist stolz auf Dich.“ – Zum 90. Geburtstag von Hermann Kesten, bei der Feier in Nürnberg, hielt Willy Brand die Hauptrede.
Das Engagement im und für den PEN verdient besondere Beachtung. Kesten war Präsident des westdeutschen PEN in den 1970er Jahren. Die 68er Bewegung agierte noch, der Terrorismus in der Bundesrepublik am Heraufziehen, auch eine Zeit gesellschaftlicher und politischer Umbrüche, ernsthafte Gefahren für die Demokratie. Kesten, mutig, protestiert beim Internationalen PEN gegen die Wahl eines von der Seite des PEN DDR vorgeschlagenen kommunistischen Schriftstellers, begründete das mit Entschiedenheit, dass der Vorgeschlagene sich gegen das in der PEN Charta vorgegebene Toleranzgebot, die Pflicht, die Meinungsfreiheit und gegen die Verfolgung Andersdenkender einzutreten. (4) „Es gehe“, so Thilo Koch, „nicht um die politischen Überzeugungen des Kandidaten, wohl aber um Schriften aus seiner Feder und um Unklarheiten in seiner Biographie“ – wohl dem, der informiert ist und dies begründen kann.
Dass es im westdeutschen PEN dann in der Amtszeit von Hermann Kesten zu ähnlich schreierischen und idologiegeleiteten Auseinandersetzungen kam, wie fünfzig Jahre später im gesamtdeutschen PEN, freilich unter anderen Voraussetzungen, ist fast eine Ironie der Geschichte; ein engagierter Literaten- und Intellektuellenclub muss streiten. Hermann Kesten war Zuspitzer und Ausgleicher in einem, und mit seinem Werk und Leben kann er für uns alle, gerade in der heutigen Zeit, auch hörbarer Mahner sein.
„Ich fühle mich seit je überall in der Welt zuhause“, zitierte Marcel Reich-Ranicki in seiner Rede zum 90. Geburtstag Hermann Kesten, und das ist es, was ihn sich auch für Menschen in und aus aller Welt engagieren lässt. Ein, wie Thilo Koch – in Anspielung auf Robert Musils großen Roman – „Mann mit Eigenschaften“ formuliert und damit Kesten charakterisiert. Ein Mann mit Standfestigkeit, mit Konstanz in seiner Haltung. Und, betrachtet man sein literarisches Werk – nahezu 30 literarische Bücher, Romane, Erzählungen, Essays -, leider, und daran hat sich seit der Feier zum 100. Geburtstag wenig geändert, nur wenig erforscht, weder literaturwissenschaftlich, noch biografisch – hier gäbe es zur Genüge zu tun, einen großartigen Literaten und Kämpfer für die Freiheit des Wortes wiederzuentdecken. Der PEN Deutschland feiert Hermann Kesten jedes Jahr mit seinem Kesten-Preis, der in Darmstadt mit Unterstützung von Stadt und Land Hessen an Literaten und Intellektuelle ähnlichen Formats und der Ausrichtung im Sinne von Hermann Kesten, Verfechter der Freiheit des Wortes zu sein, vergeben wird.
Der Weltbürger.
Hermann Kesten, der Weltbürger. „Wohl nirgendwo zuhause, nicht in Nürnberg oder Paris, Nizza, Amsterdam, nicht in New York oder Rom, Jerusalem oder Basel“ – er lebte an vielen Orten, nach Nürnberg, in den Kindheitsort kehrte er immer wieder zurück. Ein Mensch, von unersättlicher Neugier auf Bücher wie auf Menschen. Ein zur Ironie aufgelegter Satiriker, wie ihn Thilo Koch charakterisiert – „deine Zunge und noch mehr Deine Feder konnten scharf und spitz sein, aber Du hast Dich gehütet vor der herabsetzenden, einen Menschen entwürdigenden Karikatur.“
Differenziert und leise Töne.
Das ist es, was uns beschäftigen sollte: die Freiheit des Wortes, und diese richtig verstanden: nicht unüberlegtes marktschreierisch Raushauen, um des Effekts oder der Manipulation willen, so wie es heute, blicken wir um uns, üblich zu werden scheint.
Sondern: differenziert, feinsinnig und auch mal mit leisen Tönen, aber eindringlich zu werben dafür, dass, wo und wenn die Freiheit des Wortes manipuliert oder eingeschränkt ist, die freie Gesellschaft, die Demokratie und damit wir alle in Gefahr sind.
Wir setzen uns damit, das weiß ich, in Gegensatz zu der lauten Welt, wo – im Moment im Osten wie im Westen, die Proleten, die Multimilliardäre, die Autoritären, mit ihren scheinbaren Werten, Oberhand zu haben scheinen; meine Sorge relativiert sich, wenn ich die Geschichte ansehe: solche Phänomene gab es immer wieder, sie gehen unter; wichtig ist, was auf Dauer besteht. Hermann Kesten, sein Einsatz für den Mensch, für die grundlegenden Werte, für die Freiheit des Wortes, mag uns einerseits mahnendes, andererseits beruhigendes Beispiel sein.
- Stefan Zweig: Brief an Kesten vom 22.2.1941, in: Deutsche Literatur im Exil, Briefe europäischer Autoren 1933-1949, Hg. H. Kesten. Fischer, Frankfurt a.M. 1974, S. 140
- Wolfgang Buhl / Ulf von Dewitz: Ich hatte Glück mit Menschen. Zum 100. Geburtstag des Dichters Hermann Kesten. Beiträge zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg, Band 24, Nürnberg 2000, S. 7
- Thilo Koch: Mit Hermann Kesten in New York, beim PEN und anderswo, ebenda (2), S. 76/77.
Uli Rothfuss, Mitglied im Präsidium des PEN-Zentrums Deutschland, Professor für Kulturwissenschaft, Rektor und Geschäftsführer der Akademie Faber-Castell gGmbH, Stein, Leiter des Hochschulprogramms und des Studiengangs Literarisches Schreiben und Essayistik.
Von Uli Rothfuss