Hinkelstein 28 | 02.03.2025 …I can’t hear, what you’re sayin‘

Wir machen weiter und versuchen, aus den vielen losen Enden, die wir identifiziert haben, ein starkes Seil zu basteln,an dem wir uns dann weiterhangeln können, ohne genau zu wissen wohin.
Also, wo waren wir? Gehe einen Umweg ! Tatsächlich sehe ich keinen anderen Weg angesichts des ja bescheidenen Ziels der Selbstfindung, der Selbstverortung zwischen Kunst und praktischem und Leben.

Auf jeder Suche hilft Offenheit: das weiß ich unter anderem aus der wunderbaren Krimiserie von Jo Nesbø, wo der Protagonist, der geniale und doch vom Erzähler Nesbø als Person so differenziert und überkomplex präsentierte Hauptkommisar Harry Hole, eines seiner Gebote zelebriert: (sinngemäss:) Suche nicht, finde …
Klarerweise geht es in Nesbøs Krimis immer um Morde; häufig um Serientäter, das muss halt heute so sein. Harry Hole sagt (sinngemäss): Wenn Du (als Polizist) einen Tatort betrittst, mache vorher Deinen Kopf frei – denke nichts und vor allem: suche nichts (Bestimmtes), nehme einfach wahr und finde dann irgendwas, was Dir auffällt, irgendwas, das nicht ins Bild passt – dann hast Du einen (streng intuitiven) Anfang für die Ermittlung, etwas zum Nachdenken und recherchieren …
Wenn Du stattdessen etwas Bestimmtes suchst, wirst Du an der Bildstörung vorbeigehen und den Anfang nicht finden.
Nun ja: Jo Nesbø, studierter Ökonom, reich und berühmt geworden aber als Krimiautor, ist ein begabter Philosoph.

© Foto: Eurstandard | ZKM Karlsruhe: | bis 23.04.2025 | FMAC in Genf (Collection d’art contemporain de la Ville de Genève): | Disruptions. Early Video Art in Europe

Bildstörungen aller Art sind derzeit nicht zufällig oft Ausstellungsthemen: das ZKM Karlsruhe zeigt im Museum für zeitgenössische Kunst in Genf (bis 243.04.2025) die Ausstellung „Disruptions. Early Video Art in Europe„;  | Boris Petrovsky nennt seine Einzelausstellung (noch bis 27.04.25 in Singen) “ Turbatory„: vielleicht müssen wir lernen, Bildstörungen und Verzerrungen – von optischen Verunsicherungen bis hin zu von Menschen oder von KI erfundenen Nachrichten (Fake-News) als notwendige oder gar als konstitutive Aspekte unserer Wirklichkeitswahrnehmung zu begreifen. Wieder ein offenes Ende, auf das wir hier zurückkommen werden.

Als ich letzte Woche den Hinkelstein 27 textete, habe ich Nadolnys Entdeckung der Langsamkeit gegoogelt, um das korrekte Erscheinungsjahr zu prüfen, und da kam ein Youtube-Video-ins Bild: Mother – von Pink Floyd (hier: Roger Waters zusammen mit Sinead O’Connor – habe eine Pause gemacht und reingehört, schönes Video, und saugute Musik sowieso …

Boris Petrovsky. der ja in/mit seiner Kunst auch forschend arbeitet; formuliert dazu ein Programm, das erfrischend unbescheiden klingt und das unserem Hinkelstein-Konzept verwandt ercheint: Dystropicania)
Eine Maschine werden oder nicht werden, eine Maschine sein oder nicht:  Was wird den Menschen im Zeitalter der KI weiterhin auszeichnen? 
Wir möchten dies auf musikalisch-sinnliche Weise spielerisch erforschen, wobei kognitive Operationen und Phänomene wie Gedächtnis, Memorieren, Abrufen, Erkennen, Erinnern und Vergessen erfahrbar werden.

Während ich dazu – in einem anderen Window – weiterlese und nachdenke, läuft im Youtube-Window schon das nächste Video: Comfortably Numb auf meine PC-Stereoboxen – für mich (mit den zwei unglaublichen Gitarren-Soli von David Gilmour) eines der stärksten Rockereignisse der bisherigen Rock-Musik-Geschichte.

Und damit bleiben wir mitten in unserem Thema – Kunst und Kommunikation, vielleicht ist Kunst (auch) eine Form der Kommunikation?
Viele von Ihnen, liebe Leser, werden sagen, ja, ist ja eh‘ klar, das haben wir auch immer schon so gesehen – So what? (so what von Miles Davis ist gleich noch so ein historisches Highlight).
Für mich als Nebenfachphilosoph ist das alles schwieriger: Der wohl wichtigste lebende Philosoph, Jürgen Habermas, hat in seinem Hauptwerk (2 furchtbar dicke Bücher) „Theorie des kommunikativen Handelns“ in der Kommunikation das „dieser „immer schon innenwohnende Ziel der Verständigung „identifiziert. Ganz bestimmt eine Hoffnung, die wir (na ja: doch so ziemlich) alle in uns tragen. Wir (wollen) glauben, dass die (wir) Menschen miteinander friedlich klarkommen könnten und womöglich sogar mit der Erde Frieden schließen? Was übrigens Peter Weibel bezweifelte: er erlebte die Menschheit als im Krieg gegen die Erde. Dennoch wesentlich positiv gesinnt, sah Peter Weibel eine (die einzige) Chance zur Rettung des Planeten im Zusammenführen von Kunst und Wissenschaft.

Während mir durchaus denkbar erscheint, dass Kunst und Wissenschaft auf der ihnen gemeinsamen elitären hegelschen Ebene der absoluten Vernunft erfolgreich miteinander kommunizieren und dabei neue Räume öffnen und vielleicht gar teilweise Verständigung erreichen, scheint mir die Kommunikation in unserer realen Lebenswelt zunehmend zu scheitern. Als ob sich dahinter eine Notwendigkeit verberge? Die Kunst – hier Lyrik und Musik – weiß dies längst und kommt damit zurecht: Gerade jetzt, da ich diesen Beitrag beende, höre ich den Jazz -Bassmann Steve Swallow, der auf seinem Album „Home“ (ECM, 1980) Lyrik von Robert Creeley vertont; wunderbar gesungen von Sheila Jordan:

„You didn’t think you could do it, but you did
You didn’t do it, but you did

Deshalb doch nochmal zurück zu Pink Floyds Comfortably Numb: Sehen Sie selbst, wie David Gilmour mit seiner Fender Strat kämpft . Dieser Kampf ist eine sehr gelungene Kommunikation: beide gewinnen souverän!

Doch der Verdacht bleibt bestehen: ein Grundprinzip der alltäglichen Kommunikation ist deren Scheitern:

your lips move, but
I can’t hear, what you’re sayin‘