Tanja Pohl online: www.tanja-pohl.com
Künstlerporträts im kunstportal-bw | Mai 2025
Doppel-Porträt über Tanja Pohl:
Der Künstler und Kunsthistoriker Frank Lorenz [im Katalog der Kunsthalle Vogtland zur Ausstellung]:
HINTERlassen
Imagination – Jürgen Linde über Tanja Pohl

Bild links: Tanja Pohl; © Foto: Tanja Pohl
Aufmerksame kunstportal-bw-Leser erinnern sich, den Namen Tanja Pohl schon mehrfach im kunstportal gesehen zu haben: gerade hat sie eine Ausstellung im Osten des Ländles; in Lauda-Königshofen:
[ LAUDA FabrikGalerie | bis 28.05.2025: | Tanja Pohl: Der Mensch ] , neben zwei weiteren Ausstellungen. Im letzten Jahr ausgezeichnet mit dem Thüringer Landesstipendium, bereitet sie schon die nächste wichtige Ausstellung (die Abschlussausstellung des Landes-Stipendiums) in der Kunsthalle Erfurt vor.
Die Künstlerin Tanja Pohl ist also mehr als reichlich beschäftigt, was daran liegt, dass sie nicht nur sehr gute Arbeit liefert und fleissig ist, sondern sicher auch daran, dass ihre Kunst besonders zeitgemäss ist.

Gleich nach meinem Atelierbesuch bei der Künstlerin in Greiz im Vogtland war Tanja Pohls Arbeit Thema in unserem Hinkelstein (Nr. 35 vom So, 20.04.2025:Desintegration). Hier hatte ich auch das inhaltliche “Programm“ des jetzt vorliegenden Künstlerinnenporträts vorab beschrieben.
Die in Greiz im Vogtland lebende Künstlerin hat im Jahr 2024 das “Landesstipendium des Freistaates Thüringen der Kulturstiftung Thüringen“ für die Realisierung DAS FELD – großformatige Druckgrafik erhalten. Eine wichtige Auszeichnung für die Künstlerin; eine weitere Station im künstlerischen Werdegang der Malerin und Grafikerin, die auch bildhauerisch arbeitet. Sogar Tanzperformances im Rahmen von eher freejazzigen Konzerten, zu denen sie einlädt in ihr großes Atelier in einem ehemaligen Fabrikgebäude eben in Greiz, zählen zu ihrem Repertoire.

Eine Station, soviel vorweg, die wahrscheinlich eine Zwischenstation sein wird, kein Wendepunkt, vielleicht Gelegenheit zum Umstieg in einen schnelleren Zug: vom IRE in den ICE?
Schon lange ist die vielbeschäftige Künstlerin auf einem Weg, auf dem “Das Feld“ einen Moment der Ruhe, des Innehaltens und Nachdenkens sein könnte.
Von Anfang an hat sich Tanja Pohl beschäftigt mit den Themen Arbeit, Mensch, Maschine und Produktion.
Mit ihrem ganz eigenen künstlerischen Blick verbindet sie diese Themen, zeigt deren Verwobenheit ineinander in Werken, zu denen wir dann oft das klassische Thema „Landschaft“ assoziieren.

Durchaus überraschend für mich, der ich als Politiologe und Soziologe die Themen Arbeit und (Industrie-) Produktion zuerst aus anderer Perspektive sehe: aus Sicht der Soziologen handeln diese Werke von der Geschichte der Arbeit (allrin schon ein bibliothekenfüllendes Thema). Aus Sicht der Politikwissenschaft und der Philosophie (damals mein erstes Nebenfach) geht es hier um die politische Philosophie, ein fast alles umgreifendes, noch gößeres Thema.
Alles schwierig, hochinteressant und für mich dann zu umfassend. Zeit für mich, mich den Geisteswissenschaften ab und der Kunst zuzuwenden. Hier, in der Kunst, entdeckte ich all diese Themen neu – und nach meinem Empfinden auf einer höheren, integrativen und vor allem in sinnlichem Erleben vermittelbaren und vermittelten Ebene.
Wieder einmal sehen wir, wie die eigenen Erfahrungen / Welt-Wahrnehmungen/Blickwinkel in Verbindung stehen zu dem, was Kunst für uns ist oder sein kann.
Tanja Pohls Werke begeistern mich auch durch die vielfältige Weise sie Kopf und Maschine, Mensch und Produktion in ineinander, in Verbindung setzt.
Viele denken nun womöglich jetzt an Charlie Chaplins Film Moderne Zeiten (1936) und das unvergessliche Bild mit Charlie Chaplin auf dem Zahnrad ….. Während Chaplin diese Themen noch als (vermeintliche) Satire präsenierte, handelt Tanja Pohl ihre Betrachtungen sehr ernst ab: das Verlorengehen des Menschen, der Verlust des Menchseins in einer Existenz, in der wir nach und nach Teil einer großen Gesamtmaschinerie werden können; scheinen hier unweigerlich auf.

Verschiedene Dystopien, von denen hier nur die wichtigste und bekannteste – George Orwells 1984 – genannt werden soll – beschreiben ja totalitäre Gesellschaften, in denen Technik die Gesellschaft steuert, Technik zur Herrschaftsform und zum Selbstzweck wurde. Übringens spielt Orwells Novelle auf einer Erde, die aufgeteilt ist in drei Machtblöcke, die sich ständig (in wechselden Konstellationen), im Krieg miteinander befinden …
Näher als jede Satire erscheinen uns deshalb hier Bilder aus Kafkas Universum – etwa die Foltermschine aus der “Strafkolonie“ oder für mich auch „Das Schloss“: unsere Welt, die Kafka (befremdlich wirkend und doch so eminent wahr) beschreibt, ist ja wahrscheinlich in ihrem administrativ-bürokratischen Bereich ein Teil der Gesamtmaschine Gesellschaft.
Die Menschen sind hier nurmehr funktionierende Zahnräder; Orwells Gedankenkontrolle garantiert für deren reibungsloses Funktionieren. Wie nahe dem die heute Realität schon ist, erleben wir in aktuellen autokratischen Systemen: Trump versucht, den (Namen) Golf von Mexiko zu verbieten (zukünftig der Golf von Amerika); Putin versucht den Namen Nawalny zu löschen – etwa so, wie die alten Sowjetrussen unliebsame Zeitgenossen aus den Fotodumenten herausretouschieren liessen – eine Aufgabe, die man heute bestimmt schon besser einer guten Qualitäts-KI übertragen könnte.

Apopos KI: Viele halten halten ja Orwells 1984 für “längst überholt“: die oligopolistisch organisierten Tech-Giganten wissen wohl schon heute mehr über uns als wir selbst. Die Transhumanisten, präsentieren den positiv-fortschrittlichen(?) Traum einer Kombination von Mensch und Maschine als (ganz unironisch) schöne neue Welt.
Das war jetzt ein Überflug; und doch: all dies erscheint uns längst vorstellbar. Und wenn wir, wie etwa Elon Musk annimmt, zukünftig einen Chip im Kopf haben, der unsere Effizienz steigert (immer vernetzt haben wir dann bestimmt Google Maps bei Bedarf im Kopf und verstehen alle Sprachen, sofern wir Sprache überhaupt noch benötigen, automatisch, etc.).
Die Gedankenkontrolle erledigt so ein Computer-Chip im Kopf zweifellos nebenher: falsches Denken wird gar nicht mehr möglich sein.
Jetzt rufen die IT-Kenner unter uns Stop!: Das kann und wird nicht funktionieren: Programmierfehler sind unvermeidlich; (Sh)it happens; Zufälle/Pech sind unvermeidlich. Man könnte sagen: Winston Smith (das ist der Protagonist in 1984) lebt!
Und dann wären da ja auch noch der Mensch – und die Kunst – die dieser vermeintlich unvermeidlichen Zukunft im Wege stehen.

Wenn wir uns Tanja Pohls Werke genauer anschauen, erleben wir sie – zweifellos als kritisch, als sehr zutreffend, als wahr – und doch durchweg nie als bruchlos dystopisch:
Überall in Tanja Polhs Bildern (oft nur in kleinen lebendig-roten Bildelementen) scheint der Mensch auf als lebendig, als widerständig, als Störung? Immer stärker treten auch in Ihrer Malerei die Themen Mensch und (als das für sie klar wesentlichste Körperelement des Menschen) Köpfe in den Vordergund. Gleichzeitig kommt ja Tanja Pohl aktuell von der “Industrieproduktion“ zurück (?) auf das Thema “Feld“ (und Industriebrachen):
So schreibt Marc Peschke zur aktuellen Ausstellung der Künstlerin in Fulda:
Ihre Herangehensweise an die Landschaftsdarstellungen, die sich mit der Transformation von Natur- und Industrieräumen auseinandersetzen, beschreibt Tanja Pohl wie folgt:
»Die Industriebrache trägt beides in sich – Industrie und die Rückeroberung der Natur. In der Brache sehe ich einen gewissen Nullpunkt, ähnlich dem embryonalen Zustand.«
Nein; hier versteckt sich keine (geheime?) Botschaft (Rückkehr zur Agrargesellschaft?) der Künstlerin, die sich selbst in ihrer Kunst nirgends explizit (oder bewertend) politisch äußert.

„DAS FELD“ / Projekt zum Landesstipendium Thüringen 2024
Von guter Kunst erwarten wir keine Ratschläge oder gar Lösungsmodelle. Doch erwarten wir Wahrheit. Vielleicht mehr als jeder andere hat Peter Weibel immer wieder verdeutlicht, wie eng Wissenschaft und Kunst hier verbunden sind: Zusammenführen von Kunst und Wissenschaft – über Peter Weibel († 2023) – KUNSTPORTAL BADEN-WÜRTTEMBERG
Auch Tanja Pohl arbeitet in diesem Sinne wissenschaftlich: Als Beobachterin der Wirklichkeit erarbeitet sie – künstlerisch-forschend – implizit auch ein Bild der (für mich ein Wesenselement der Kunst:) Kontingenz: Es ist, wie es ist, immer aber: Es könnte auch anders sein.
Auch wenn die Kunst uns keinen Weg weist; sie macht eben doch sichtbar: in unserer Zeit multipler globaler Krisen ist Kunst wichtiger denn je: wir brauchen das Bewußtsein der Kontingenz und dazu etwas, was alleine die Kunst ermöglicht:
Imagination
Jürgen Linde im April 2025