
Bild oben: © ZKM | Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe
ZKM Karlsruhe | 05.09.2025 – 22.02.2026 | Ort: National Asian Culture Center Gwangju: | Manifesto of Spring
Hinkelstein, der wöchentliche Newsletter des kunstportals baden-württemberg:
Jeden Sonntag frisch auf den Screen
Liebe Leserinnen und Leser,
schon beim Texten des letzten Hinkelsteins war meine bislang stringente dystopische Weltsicht ins Wackeln geraten. Mit dem Titel am Ende – Wege durch das Digi-Tal – hatte sich die Möglichkeit eines Perspektivwechsels immerhin angedeutet. Hoffnungsansätze gab es auch zuvor immer wieder; [etwa mit This is not America (siehe Hinkelstein 46).
Nun aber las ich vor wenigen Tagen erst las ich im kunstportal baden-württemberg von einer Ausstellung, die das Karlsruher ZKM ab September 2025 gemeinsam mit dem M+ (Hongkong) präsentieren wird: Der Abstract (im ZKM-Pressetext) der Thematik erscheint mir wie eine Zusammenfassung unserer dystopischen Hinkelstein-Essays seit einem Jahr:
Die Länder Asiens, die vor nicht allzu langer Zeit durch soziale und politische Umbrüche zur Demokratie gekommen sind, stehen nun vor einer neuen Ära. Doch nicht nur sie. Die gesamte Welt scheint in Aufruhr: (Westliche) Demokratien geraten ins Schwanken, der Faschismus profiliert sich in erschreckender Stärke, brutale Kriege überziehen die Welt, die globale Wirtschaft ist geprägt von entfesselten Handelskriegen, die die Armen immer ärmer werden lassen, und die katastrophalen Auswirkungen der Klimakrise sind unaufhaltsam. In einer derartig von mannigfaltigen Krisen geprägten Zeit, scheint es schwer an der Hoffnung festzuhalten. Der Frühling, in der modernen asiatischen Geschichte ein Symbol für demokratischen Aufbruch, scheint nicht wiederzukehren.
(ZKM; Manifesto of Spring)
Dem wäre ja eigentlich nichts hinzuzufügen – oder doch? Als Feuilletonist hat man ja quasi die Pflicht, immer und unbedingt noch etwas hinzuzufügen zu haben:
Der Pressetext zur o.g. Ausstellung, die mit einem zweitägigen Symposium beginnen wird, endet dann aber so:
Ein Versuch, das Netz des Lebens kollektiv weiter zu spinnen. Manifesto of Spring imaginiert so ein pluralistisches Manifest für die Zukunft – für den Frühling, der vielleicht doch nie ganz verloren gegangen ist.
[ über den Winter bis dahin hilft ein ein wenig Blues von George Harrison; schon lange unsterblich: (hier neu eingespielt mit Peter Frampton; 2025) While my Guitar gently weeps ]
Das ZKM denkt und handelt offenbar [Using Art as a Tool to change the world“ (Alistair Hudson)] im Geiste von Peter Weibel, der sich vor Jahren einmal sehr gefreut hat , als ich ihn ironisch einen „hoffnungslosen Optimisten“ genannt hatte. Bei aller analytischen Klarsicht war Weibel immer davon überzeugt, im Zusammenführen von Kunst und Wissenschaft Wege finden zu können für das Überleben des Planeten. Und selbst Peter Sloterdijk, der vielleicht weniger optimistisch ist, forderte in seiner Rede beim Kölner Philosophiefest (siehe bitte die Hinkelsteine 49 und 50) ja für das Maschinenzeitalter eine „intelligente Ethik für den Umgang mit KI“ – auch Sloterdijk scheint wohl die Hoffnung nicht aufgeben zu wollen oder zu können?
Auch wenn ich die Selbstentblößung der Seele nicht als dystopische Prognose sehe, sondern als Zustandsbeschreibung und auch dabei bleibe, dass es so etwas wie digitale Transzendenz (siehe: Hinkelstein 47 | 13.07.2025 | Erinnerung an die Zukunft II) nicht geben kann, so bin ich dennoch nicht fähig, die Hoffnung aufzugeben. Außerdem sehe ich als Dialektiker die Gefahr eher darin, dass die Hoffnung irgendwann uns aufgeben könnte.
Um dies zu vermeiden, greife ich zurück zum Handwerkszeug: als Journalist trete ich zwei Schritte zurück beim Versuch, wenn schon nicht das Ganze, so doch immerhin etwas mehr zu sehen (Achtung: vorher nach hinten blicken, ob sich da eventuell ein Abgrund lockt ?!).
Aus der Sicht der hier schon mehrfach zu Rate gezogenen nüchternen Weltsicht Max Webers steht die Menschheit wahrscheinlich schlicht mitten in einer neuen Rationalisierungsphase: Angesichts der Digitalisierung (und unserer weiterhin möglichen Überflüssigwerdung) droht uns Menschen noch nicht das Ende, stattdessen stehen wir vor neuen Aufgaben: Max Weber begreift die Geschichte der Menschheit auch (vor allem?) als eine Geschichte der Anpassung an die sich verändernde Umwelt.
Der von Menschen selbst geschaffene technische Fortschritt spielt dabei zweifellos eine wichtige Rolle, und womöglich müssen wir uns „nur“ der Aufgabe stellen, für die vernetzte Welt geeignete, frische Kulturtechniken zu entwickeln, einen erwachsenen Umgang mit den neu entstandenen und noch entstehenden Möglichkeiten.
Richtig: wir sind endlich zurück bei der Kunst. Die Stuttgarter Künstlerin Doris Graf, von der ich im Hinkelstein Nr. 49 den schönen Begriff der Selbstentblößung der Seele übernommen habe, betrachtet das Internet, das sie intensiv nutzt, sehr kritisch und sieht dennoch (siehe Hinkelstein 50) weitaus mehr Vorteile als Gefahren.
Mit ihrer künstlerischen Arbeit zeigt sie uns, dass die immer schon und weiterhin vorhandenen positiven Potentiale (freie Kommunikation auch gerade in Kunst und Wissenschaft) des Internets (still overhyped and underestimated) sich durchaus dialektisch gegen die totatlitären Vereinnahmungsprozesse dieses Mediums wenden können.
Bitte lesen Sie hierzu unser gerade gestern erschienenes August-Künstlerinnenporträt: Doris Graf: CityX Zeichen der Welt.
Und nicht alleine in der Kunst entdecken wir dialektische Gegenbewegungen, Stolpersteine (oder Hinkelsteine?), die den libertären Durschmarsch der Übermächtigen erschweren und womöglich gefährden:
Zu recht haben Vertreter der kritischen Theorie Webers Geschichtsbild als zu linear kritisiert. Immer gibt es ja auch dialektische Gegenbewegungen. Und tatsächlich verläuft ja auch die von uns befürchtete Entwicklung in Richtung Totalitarismus keineswegs problemlos geradeaus: sehr viele Amerikaner wissen längst, dass libertär eben keineswegs liberal – im Sinne von freiheitlich – bedeutet. Immer mehr sorgen sich um ihre eigene Freiheit angesichts einer drohenden Oligarchie.
[Vorteil des Alters: ich weiß schon heute, dass früher alles besser war: Woody Guthrie: This Land is Your Land]
Wenn etwa amerikanische Richter die Entscheidungen der Trump-Administration für ungültig erklären und dann von überzeugten Trump-Anhänger (im Stil der Kapitol-Stürmer) mit Bedrohungen verschiedenster Art überzogen werden, so provoziert dies vielfältigen Widerstand. Wenn (noch ist dies ja möglich) ein rechtsradikaler „Künstler“ mit der Gestaltung des nächsten US-Pavillons bei der Biennale in Venedig beauftragt werden sollte, dann findet das auch nicht nur Zustimmung.
Doch ist natürlich die Kunst nur ein Hindernis (ein Stolperstein; ein Hinkelstein?) beim libertären Durchmarsch der Übermächtigen. Auch aus der Wissenschaft, auf die ja auch die Tech-Riesen angewiesen sind, droht einiges an Ungemach. Die Wissenschaft, für die (internationale) Freiheit eine existenzielle Arbeitsgrundlage ist, wehrt sich gegen alle Versuche, sie zu beschränken, (zu provinzialisieren?)
All dies soll nun in den nächsten Hinkelsteinen genauer betrachtet werden, Was die Kunst und die Philosophie betrifft, so wird dann auch endlich Franz Kafka zu Wort kommen – und damit das Unzerstörbare.
Jürgen Linde am 10.08.2025
Wir wünschen Ihnen vor diesem Hintergrund einen schönen Sonntag, untermalt durch gute (alte und neue) Musik und mit vielen künstlerischen Erlebnissen. Den besten Einstieg hierzu liefern wir wie gewohnt mit unseren
guten Nachrichten aus der Kunst am Sonntag, dem 10.08.2025:
Neu am 10. August 2025: | Künstler | 16.08. und 07.09.2025: | Paul Blau | Konzert am 16.08. Kulturküche Karlsruhe | Ausstellung im Kunstraum Goldener Stern in Schweighofen (Pfalz) mit Konzert am 07.09.2025 | Veranstaltungen im Herbst 2025
Neu am 10. August 2025: | ZKM Karlsruhe | 12.08. – 14.09.2025 | Eröffnung am 13.08. um 20 Uhr: Musikbalkon im ZKM: | media art is here
Neu am 10. August 2025: | ZKM Karlsruhe | Dazu die kunstportal baden-württemberg Sonderpräsentation: | media art: Highlights in der Stadtlandschaft
Neu am 10. August 2025: | ZKM Karlsruhe | Mi, 26. und Do, 27.11.2025; jeweils 20 Uhr | Medientheater | Tanz: Kiesecker | Hoess „The Truth“ (D)
Neu am 10. August 2025: | Newsletter Hinkelstein: | Sonntag früh frisch auf den Screen: | Hinkelstein 51 am 10.08.2025 | das Unzerstörbare