Farben bleiben in Bewegung – über Rozbeh Asmani

All our Colours“ ist der Titel der Ausstellung, mit der das Museum Ritter vom 15.10.2023 bis 07.04.2024 den Künstler Rozbeh Asmani präsentiert und damit die Farbe in den Mittelpunkt rückt.
Farbe – naturgemäß immer schon ein zentrales Thema der Bildenden Kunst, in der die Farbe sowohl Werkzeug, Material ist als auch Gegenstand der Reflektion.

Oft lesen wir von den “besonderen Farben“ eines bestimmten Künstlers; mancher Experte kann zum Beispiel die Werke von Henri Matisse allein an dessen Farben erkennen. Die Künstler selbst legen sehr großen Wert auf genau die richtigen Farben, die sie nicht selten selbst herstellen. Aus der Reihe unserer Künstlerporträts fallen mir spontan zwei ein, denen die Farben extrem wichtig sind: Elly Weiblen (unser „Oktober-Porträt“: “Farbklänge“) etwa verwendet ausschließlich höchstwertige Pigmente und ausgewählte Papiersorten, um genau die Farbtöne zu schaffen, die ihr wichtig sind. Johannes Gervé (Porträt im Juni 2022: „Weniger braucht mehr Zeit“) berichtet in einem Video über seine Arbeit, wie er manchmal schon morgens auf dem Weg zu seinem Atelier einen bestimmten Farbton vor Augen hat. “Wenn er diesen dann manchmal sofort beim Mischen trifft, wird es ein guter Arbeitstag für ihn“.
Allemal ist Farbe ein komplexes, sehr schwieriges Thema.


Bild rechts: Rozbeh Asmani, Colourmarks, 2013–17 © VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Foto: Rozbeh Asmani

Während Kunstwissenschaftler gerne auf hohem philosophischen Niveau über die Bedeutung der (oder einer bestimmten) Farbe in der Kunst streiten, haben wir von Peter Weibel gelernt, dass manchmal die (Natur-) Wissenschaft einen klareren, nüchternen Blick erlaubt auf Themen, über die zu diskutieren sonst zu Glaubensfragen zu verwässern droht. Ich hatte damals einen guten Physiklehrer, der Schwieriges manchmal einfach erklären konnte: “Farbe“, so sagte er, sei „letztendlich nichts anderes als die Feinstruktur der Oberfläche“, weil diese bestimme, welche Lichtfrequenzen“ diese Oberfläche reflektiere – und bestimmte Frequenzbereichen haben wir eben Namen gegeben wie Rot, Blau oder Gelb. Alles also eigentlich ganz einfach – oder?

Mit diesen drei Grundfarben kommen wir endlich auch zu Rozbeh Asmani, der Rot, Blau und Gelb bei Lidl findet: als Colourmarks.
Das Handelsunternehmen Lidl Stiftung & Co.KG hat drei Grundfarben im Logo und zudem als konturlose Farbmarken gesichert. Damit sind sie gewissermassen geistiges Eigentum von Lidl – niemand sonst darf sie so im Bereich von Eizelhandelsdienstleistungen verwenden.

Bild oben: Rozbeh Asmani, Colourmarks Billboards, Schwan-Stabilo Schwanhäuser GmbH & Co. KG / Aquatherm GmbH / Lidl Stiftung & Co. KG, 2022/23 © VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Foto: Rozbeh Asmani

Dass Farben geschützt – insofern also quasi als Eigentum beansprucht – werden können, ist Juristen und Marketingleuten geläufig, nicht aber jedem von uns. Rozbeh Asmani ist deutscher Künstler mit iranischer Herkunft. Am Caspar-David-Friedrich Institut der Universität Greifswald ist er “Professor für Neue Medien und angewandte Grafik im Bezugsfeld Bildender Kunst“.

Bild links: Rozbeh Asmani, Foto: David Ertl (Detail) © Künstler, Foto: Rozbeh Asmani

Der Pressetext des Museums Ritter erklärt uns die Geschichte der Colourmarks: :
Rozbeh Asmani hatte sich zum Ende seines Studiums an der Hochschule in Leipzig mit interkulturellen Beziehungen und Massenmedien beschäftigt. Als er sein eigenes kleines Massenmedium in Form einer Schokoladenfigur, eine verschleierte Muslima, produzieren wollte, weigerte sich die Druckerei, die Verpackung aus Stanniolpapier in Lila zu drucken. Das war für ihn, der es als Künstler gewohnt ist, frei zu arbeiten, ein Schlüsselerlebnis und der Anfang einer mittlerweile über zehn Jahre andauernden Recherche zu juristisch gesicherten Farben (…) „ [ hier der vollständige und informative Beitrag zu Asmanis Projekt Colourmarks ]

Wer, was nahezuliegen scheint, die Beschäftigung des Künstlers mit dem urheberrechtlichen Aneignen von Farben in die Schublade “Kapitalismuskritik“ packt, macht es sich zu leicht. Rozbeh Asmani verfolgt einen komplexeren Ansatz: durchaus fasziniert von der Ästhetik der kapitalistisch bunten Warenwelt; sieht er die Möglichkeit, bestimmte Farben für jeweils bestimmte Produktgruppen zu vereinnahmen, keineswegs als das Ende der Freiheit in der Kunst.

Die Kunst-Zeitschrift monopol schrieb treffend über den Künstler:
Dabei versteht er sich nicht als „dezidiert kritisch“, sondern als jemand, der eine Theorie für einen „ökonomischen Farbraum“ entwickelt. Doch “…im Unterschied zu geisteswissenschaftlichem Arbeiten, so Asmani, sei „Kunst kein Denkfach“, sondern beruhe darauf, „dass wir handeln, dass wir rausgehen, die Dinge machen, umsetzen, probieren.“

Bild links: Rozbeh Asmani, Colourmarks Billboards, Schwan-Stabilo Schwanhäuser GmbH & Co. KG / Aquatherm GmbH / Lidl Stiftuung & Co. KG, 2022/23 © VG Bild-Kunst, Bonn 2023, Foto: Rozbeh Asmani

Wenn bestimmte Farben von Marken besetzt werden, kann dies durchaus unsere Wahrnehmung der Welt beeinflussen. Im Gespräch berichtet mir der Künstler von einem Experiment:
Mitte der neunziger Jahre gab es in Bayern einen Schüler-Malwettbewerb, an dem 40.000 Kinder teilnahmen. Als sie eine Kuh ausmalen sollten, wählten 30 Prozent der Schüler die Farbe Lila.“

Dennoch, so denke ich, sollten wir wohl auf die Fantasie der Kinder vertrauen, die nicht zuletzt dank der Kunst wissen, dass ganz verschiedene Sichtweisen auf die Welt möglich und sind, dass alles in Bewegung bleibt – die Wirklichkeit und auch die Farben.

Einmal mehr auch sehen wir, wie Kunst und Wissenschaft zusammenwirken: Denn ganz aktuell wirft die Verleihung des Chemie-Nobelpreises ein ganz neues Licht auf die Farben:
Der Nobelpreis für Chemie 2023 wurde an drei in den USA forschende Wissenschaftler verliehen: Moungi Bawendi, Louis Brus und Alexei Ekimov – für ihre Entdeckung und Entwicklung von Quantenpunkten. Sie werden in modernen Monitoren oder in der Chirurgie eingesetzt. (Quelle: scinexx.de)

Oben hatten wir die Feinstruktur der Oberfläche für deren Farbe „verantwortlich“ gemacht:
Nun kommt die moderne Chemie der Sache wieder einen Schritt näher. Die Größe dieser Quantenpunkte und die Geschwindigkeit ihrer Bewegungen bestimmen, welche Wellenlänge das von ihnen bei Anregung abgegebene Licht hat.

Kunst und Wissenschaft wissen es: Die Farbe kann uns keiner nehmen, denn unsere Welt und die

Farben bleiben in Bewegung
Jürgen Linde im November 2023