Farbklänge – über Elly Weiblen

Elly Weiblen im Internet:
Website: http://www.ellyweiblen.de
E-Mail: contact.ellyweiblen@gmail.com

Aktuelle Ausstellungen von Elly Weiblen

“Elly Weiblen – Reiche Au“. Mit der Ausstellung, die das Kunstmuseum Singen vom 29.10.2023 bis 14.01.2024 zeigt, präsentiert Elly Weiblen erneut ein großes Kunst-Projekt.
Im Zentrum der Ausstellung stehen das im Jahr 2021 mit einem Stipendium des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg unterstützte Reichenau-Projekt. Auch weiterhin will die Künstlerin ihre schon 2015 begonnene Arbeit an diesem Thema fortsetzen.

Bild oben: Elly Weiblen: Blaue Fuge, 2016
Eitempera/Leinwand/Holz; 140 x 345 cm, privat,

© Elly Weiblen, VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Wie schon zuvor, in ihrem großen Kunstprojekt “Wasser“ beschäftigt sich die Künstlerin umfassend mit einem Themenfeld, das sie dann in all seinen Facetten künstlerisch auslotet.

Tuschen. Malerei. Gouachen. Fotografien.
Dieser Untertitel der Ausstellung „Elly Weiblen – Reiche Au“ veranschaulicht die ohnehin schon große Bandbreite ihres Schaffens. Für das Ausstellungs-Projekt Wasser hat Elly Weiblen das Spektrum ihrer künstlerischen Ausdrucksmittel noch erweitert: Tonspuren mit den Geräuschen des Rheins (siehe/höre hier: Website von Elly Weiblen) bereicherten die Ausstellung, die ab November 2022 im Morat Institut für Kunst und Kunstwissenschaft Freiburg zu erleben war.
Für unsere Annäherung an die Kunst, auf der wir hier in unserer Serie der Künstlerporträts wieder einen Schritt gemeinsam vorangehen wollen, erscheint mir das Thema Wasser besonders interessant zu sein:

Bild links. Einladungsflyer (2022) zur Ausstellung im Morat Institut.

In unserer modernen Medienwelt, dominiert von einer meist kurzen, aber umso lauter gepflegten Agenda, ist das Thema Wasser ständig präsent – unter der Hauptüberschrift Klimawandel: austrocknende Flüsse, ein dramatisch sinkender Pegel des Gardasees – bildgewaltig und sensationell sind die Nachrichten zum Wasser.

In der Kunst ist das Wasser weniger Thema sensationsgieriger Medien, als vielmehr Gegenstand sensibler und reflektierender Wahrnehmung und Beschreibung.

Nicht zuletzt ist Wasser auch Thema der Wissenschaft: Mit dem Titel des Kataloges zur Ausstellung – recherches – wird einmal mehr deutlich, dass Wissenschaft (im Französischen ist recherches ist der Wissenschaft näher als dem Journalismus) und Kunst oft neben – oder gar miteinander arbeiten. In unserem Porträt über Peter Weibel, dessen zentrales Thema ja eben die Verbindung dieser beiden Welten war, hatten wir dies ja erst kürzlich (Porträt März 2023) gesehen.

Bild oben: Elly Weiblen: Himmel mit Ocker und Schwarz, 2014
Eitempera/Leinwand/Holz; 89 x 115 cm, privat
© Elly Weiblen, VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Elly Weiblen schreibt zu ihrem Projekt: „Um einem so umfassenden Thema wie „Wasser“ gerecht zu werden, habe ich mich für ein interdisziplinäres Vorgehen entschieden. So können unterschiedliche Aspekte sichtbar werden. Für mich als Künstlerin ist es sehr reizvoll, mehrere Techniken einzusetzen, die dann nebeneinander gezeigt werden. Kaleidoskopartig setzt sich so ein neues Ganzes zusammen, das aussagekräftiger als eine Serie einzelner Arbeiten ist. (…).

Bild links: Ausstellungsansicht aus dem Morat-Institut Freiburg; Raum 4; © Elly Weiblen, VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Doch wollen wir hier die Nähe von Kunst und Wissenschaft nicht erneut beleuchten, sondern uns einem anderen Aspekt der Kunst zuwenden: Gerade anhand des Themas Wasser können wir gut sehen, dass es zwischen der Weltbetrachtung der Künstler und dem KunstSehen von uns Betrachtern interessante Verbindungen gibt.

Flüsse und Seen, das Meer, Wasser in allen Formen war schon immer Thema der Kunst – lange „vor dem Klimawandel“. Nochmal Elly Weiblen in ihrem Projekt-Konzept:

Für mich als Künstlerin jedoch hat das Wasser auch und vor allem eine sinnliche Präsenz und Schönheit. – Die ständige Bewegung, das Fließen, die Verformung, die sichtbaren Bildekräfte, das Kräuseln und wieder Auftauchen, die Spiegelungen mit ihren Farbigkeiten, die Durchsichtigkeit, die Dunkelheit, das Unergründliche.
Pantha Rhei – man steigt nicht zweimal in den selben Fluss (Heraklit) Eine Metapher für die Prozessualität der Welt. Dies ist der hauptsächliche Impuls für dieses Projekt.“

Am Beispiel des Wassers zeigt uns die Künstlerin die frappierende Vielfalt der Welt und die zahllosen Facetten, die wir wahrnehmen können – oder nur könnten?

Bild rechts: Elly Weiblen: Rue Paris, 2018; 30 x 45 cm, privat
© Elly Weiblen, VG Bild-Kunst, Bonn 2023

In unserer heutigen, von Hektik und knapper Zeit geprägten Wirklichkeit scheint es kaum mehr möglich, zumindest sehr schwierig geworden zu sein, was früher wohl leichter möglich war. Natürlich denken wir an die Romantik: etwa an den flanierenden Gustav Flaubert .
Der Ausstellungskatalog recherches beginnt mit einigen Zeilen von Hölderlin, der ja zwischen Klassik und Romantik verortet wird und dann ein Vorreiter der Moderne war:

Wie aber Liebes?
Sonnenschein am Boden sehen wir und trockenen Staub
Und heimatlich die Schatten der Wälder und es blühet
An Dächern der Rauch, bei alter Krone
Der Türme, friedsam; 

(Friedrich Hölderlin, Mnemosyne)

Zwar befürchte ich, dass es sich sowohl bei der heutigen Zeitarmut als auch bei der früheren Langsamkeit um Klischees handelt; doch ist die beachtliche Haltbarkeit dieser Klischee-Vorstellungen ein klares Zeichen für deren wahren Kern.

Bild links: Elly Weiblen: Recherches 7, 2014
Gouache/Bütten, 37 x 57 cm, privat
© Elly Weiblen, VG Bild-Kunst, Bonn 2023

“Manchmal ist es gut, warten zu müssen“ sagt mir Elly Weiblen im Gespräch. Als Bahnreisender, der zum Thema “Warten müssen“ endlose Geschichten zu erzählen hätte, bitte ich sie , dies zu erklären. Während wir uns im Alltag oft unter Zeitdruck fühlen, überzeugt davon, immer dies und das noch erledigen zu müssen. Manche scheinen es gar als Lebensgefühl cool zu finden, nie Zeit zu haben. Demgegenüber ist die Wartezeit zweckfrei; ist gewissermaßen gewonnene Zeit, in der wir unsere Umwelt, das Licht, die Luft, Gerüche und Geräusche konzentriert wahrnehmen können. Sinneseindrücke, die wir uns normalerweise nicht bewusst machen, werden nun reflektiert. Manchmal entdecken wir dabei neues; ein erweitertes Gesichtsfeld ermöglicht uns andere Perspektiven.

Perspektivwechsel, Licht und Farben sind wichtige Aspekte unserer Wahrnehmung allgemein und der künstlerischen Sicht und Arbeit insbesondere. Elly Weiblen spricht in Bezug auf ihre farbigen Bilder (Eitempera auf Leinwand oder Holz) auch von Farbklängen. Wer das gelungene Zueinanderfinden verschiedener Farbtöne erkennt, kann dies durchaus als Glück empfinden.
Der wahrgenommenen Wirklichkeit, so drückt es die Künstlerin aus, liegt das lebendige Selbst zugrunde.

Im Gespräch mit der Künstlerin erfahre ich später, dass die Malerei den Schwerpunkt der Arbeit von Elly Weiblen bildet. Auf ihrer Website jedoch entdecke ich zuerst die Fotografien; schon vom Titel her ansprechend schaue ich mir die Werkgruppe „Schatten Paris“ an.

Bild oben: Elly Weiblen: Schatten 2 Paris, 2015
30 x 45 cm, privat; © Elly Weiblen, VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Auf den hier gezeigten Schwarz-Weiß-Aufnahmen nimmt die Künstlerin nicht den Gegenstand selbst (etwa: den Ast eines Baumes) in den Blick, sondern den Schatten, den dieser Ast wirft. Nicht nur erhalten die Fotografien auf diese Weise eine stark zeichnerische Anmutung; neben dem Gegenstand, der hier also nur indirekt (als “Verweis“) thematisiert wird, werden auch das Licht und die Perspektive des Lichts zum Thema der Betrachtung. Dies wiederum verweist auf uns, die wir als Betrachter der Fotografie auch eine bestimmte Perspektive haben, die uns dank der Kunst erst bewusst wird.

Was im Bereich der Bildenden Kunst vielfach untersucht und beschrieben wurde, ist, da sind wir uns im Gespräch schnell einig, in der Musik und in der Literatur und Poesie durchaus ähnlich: Der künstlerische (Schaffens-) Prozess beginnt oft mit vorsichtigem Befragen der Wirklichkeit, mit einem sensiblen Herantasten an die Welt oder an den jeweiligen Gegenstand der künstlerischen Auseinandersetzung. Ein Gegenstand, der in der Natur, genauso aber auch in der eigenen Psyche gefunden werden kann.

Kunst als Befragen und Herantasten: dies habe ich nicht beim Betrachten von Bildern gelernt, sondern beim Hören. Wer etwa improvisierende Jazzmusiker hört, kann live miterleben, wie aus ganz vorsichtigen ersten Tönen nach und nach ein Thema entwickelt wird (oder sich entwickelt?), das schon bei der zweiten Wiederholung auch für uns Hörende so klingt, als ob es immer schon dagewesen wäre.

Die improvisierenden Jazzmusiker lassen uns teilhaben an der Kommunikation, in der sie das Thema finden / entfalten. Elly Weiblen zeigte uns (siehe oben) nicht den Baum, sondern den Schatten seiner Äste. Sie reflektiert damit gleichzeitig die Entstehung des Bildes, das wir sehen; thematisiert Licht und Perspektive.

Vielleicht ist diese doppelte Dialektik eine zentrale Charakteristik nicht allein der bildenden Kunst: der Künstler reflektiert den Gegenstand seiner Betrachtung und gleichzeitig auch den Prozess des Betrachtens selbst; sie selektieren oder “filtern“ das, was sie sehen, um es dann zu einem Bild werden lassen. Dabei ist unvermeidlich, dass die vielfältigen Elemente des Wahrgenommenen neu zueinander in Beziehung gesetzt, gewichtet – interpretiert werden.
Der gleiche Vorgang vollzieht sich dann im Prozess des Betrachtens.

Während im Fall improvisierter Musik Kunstentstehung/ – oder – Entwicklung und Kunstwahrnehmung/rezeption gleichzeitig geschehen, erfolgen diese beiden Prozesse bei der Bildenden Kunst zeitlich getrennt und sind doch einander ähnlich – Annäherungen.

Annäherungen auch zwischen unseren verschiedenen Sinneswelten. Immer wieder kamen synästethische Gedanken ins Spiel bei der Beschäftigung mit der Kunst von Elly Weiblen,die bei ihrer kommenden Ausstellung – “Reiche Au” wieder stärker ihre farbigen Werke – und damit den eigentlichen Schwerpunkt ihres künstlerischen Schaffens – in den Fokus rücken wird. Zur Ausstellung schreibt sie selbst:

“Etwas sehr Besonderes ist aber auch das Licht, nicht wirklich fassbar, bedingt durch die geografische Lage im See, die sich nach Süden ausrichtet in unmittelbarer Nähe der ersten hohen Berge der Alpen. Die Insellage setzt zwischen Eiland und anderem Ufer einen breiten Wassersaum. Das Diesige und die Feuchtigkeit der Luft schlucken die Geräusche.”

Bild links: Elly Weiblen: Fuge mit Schwarz, 2016
Eitempera/Leinwand/Holz, 437 x 60 cm, privat
© Elly Weiblen, VG Bild-Kunst, Bonn 2023

Elly Weiblens Malerei aber bewahrt auch die geschluckten Geräusche sicher auf; deshalb nenne ich dieses Porträt:

Farbklänge.
Jürgen Linde im Oktober 2023