Aktuelle Arbeiten und Projekte von Anja Kniebühler
- Natur, Schöpfung, FloralesFinissage : 04.05.2024, 11 – 13 Uhr Conny Luley, Anja Kniebühler, Gabriela Stellino u.a. | 15.03. – 04.05.2024 | Galerie K1 Freiburg
- Freiburg Art Fair 2020Die erste Kunst-Produzenten-Messe in Freiburg am 09. und 10. Oktober 2020
the scars of our hearts – über Anja Kniebühler
“wer hören will, muss fühlen” – Auch fast 20 Jahre, nachdem ich mein erstes Porträt über die Malerin und Zeichnerin Anja Kniebühler so betitelt hatte, scheint mir die damalige Überschrift noch immer gut und auch noch immer zutreffend im Hinblick auf die Arbeit der Künstlerin, die sich seitdem verändert hat – intensiver noch als früher erlebe ich ihre neuen Arbeiten. Die Assoziationen zur Musik, die Anja Kniebühlers Kunst immer schon – und sicherlich nicht nur bei mir – geweckt hat, gibt es noch immer.
Jetzt aber “bleibt alles anders”: Ein ganz neuer Aspekt kommt hinzu: Die Künstlerin hat ihren Umgang mit ihrem Grundmaterial, dem Papier, über die verschiedenen Arten des Zeichnens und des Malens hinaus, radikal erweitert:
Mit Nadeln wird das Papier selbst verändert, verletzt – die Künstlerin spricht teilweise auch vom Zerstören des Papiers.
Das Papier, das immer schon dreidimensional war, das wir aber gewöhnlich als (zweidimensionale) Fläche wahrnehmen, greift nun Raum dank der Bearbeitung durch Anja Kniebühler.
Zur farblichen Gestaltung kommen nun also haptische Aspekte hinzu.
Leise und filigran sind ihre aktuellen Arbeiten – sowohl in der farblichen wie auch in der haptischen Gestaltung – oft sind es bearbeitete Oberflächen, die wir berühren und spüren können – ähnlich wie Blindenschrift.
Anders als bei Schrift, deren Bedeutung sich durch Wortinhalte und Semantik erschließt, bleibt diese Kunst, auch wenn sie fühlbar ist, zwangsläufig abstrakt.
Der erste, der durch Schnitte und Perforierungen versuchte, eine Leinwand als dreidimensional erfahrbar zu machen, war in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts Lucio Fontana.
Auch besteht hier eine Verbindung zur Arbeit der Zeichnerin und Konzeptkünstlerin Katharina Hinsberg, wobei Anja Kniebühler mit ihrer besonderen Vorgehensweise eine neue, ganz eigenständige Position definiert: sie kombiniert Perforierung mit der zeichnerischen Arbeit, die wir bisher schon von ihr kannten.
Die Künstlerin erklärt selbst: “Es ist für mich wichtig, dass ich mit Nadelstichen das Papier auch zerstöre um eine erweiterte Dimension im Bildraum zu ermöglichen. Denn dadurch wird Wahrnehmung durch Farbe und gestochener Fläche je nach Lichteinfall auch veränderbar oder das Papier an sich wird Raum”.
Und hier fällt mir noch einmal eine Verbindung ein zur Musik, hier zu dem schönen Text (Just give me a Reason) der künstlerisch meist unterschätzten Pink:
“it’s been written in the scars of our hearts” – mit dieser Metapher formuliert Pink, was diese Art der Verletzung des Materials in etwa bedeuten könnte.
Verletzt werden und dabei zu sich selbst finden, selbst werden.
Wer hat das verdammt noch mal gesagt: “Schlimmer als ein Leben ohne Liebe ist nur ein Leben ohne Schmerz”.
Mit ihrer Kunst reagiert Anja Kniebühler auf unsere Welt und deren Veränderungen. Unsere Außenwelt, die zweifellos lauter – und sagen wir: medial überwältigender – geworden ist.
Bei Künstlern unterstellen wir ja allgemein, dass diese besonders sensibel wahrnehmen und reagieren. Nun könnte man dies für ein reines Klischee halten, zumindest aber ist es eine unzulässige Verallgemeinerung – eine Annahme, die sicher nicht für alle Künstler zutrifft.
Anja Kniebühler aber reagiert zweifelsfrei auf sehr feine Schwingungen, Veränderungen, und ich erlebe die Narben im Papier als einen Aspekt der erzählerischen Qualität, die ihre heutigen Arbeiten stärker noch als ihre früheren auszeichnet.
Sichtbar in Form oft sehr filigraner Oberflächenstrukturen und von Farbnuancen, die uns dann immer mehr Tiefe und, ja, Anteilnahme vermitteln.
Interpretieren sollte – ich finde: kann man dies nicht. Die Bedeutung erschließt sich dem Kunstbetrachter immer nur ganz individuell – mir erzählen Anjas neue Arbeiten von einer gewissen Einsamkeit – im Sinne eines sehr positiven “Zu-Sich-Findens” in Ruhe und Reflexion/Kontemplation.
Es ist nicht Trotz, sondern im Gegenteil, es ist Notwendigkeit, dass Anja Kniebühler in ihrer Arbeit immer feinfühliger und leiser und damit dann letztendlich auch deutlicher wird. “Nach innen geht der eigentliche Weg” könnte man, nahe angelehnt an das berühmte Zitat des Romantikers Novalis (er spricht vom “geheimnisvollen Weg”) sagen.
Wer sich als Künstler oder auch als Kunstfreund von der visuellen und akustischen Gewalt der heutigen Medienwelt überlastet sieht, sich abwendet von den Unmengen an News und Fake-News, wendet sich nur scheinbar ab von der Welt.
Tatsächlich wendet er sich dem Leben zu. Leise und behutsam zeigt uns Anja Kniebühler den geheimnisvollen Weg through
the scars of our hearts.
Jürgen Linde im April 2020