Utopische Entwürfe für eine bessere Welt

Buchtipps von Uli Rothfuss im kunstportal-bw

Sehnsucht Utopie – Eine Reise durch fünf Jahrhunderte, von Alberto Manguel

Einer der Großen der Weltliteratur, Alberto Manguel, mehrere Jahre Vorleser beim erblindeten Jorge Luis Borges und heute, nach Jahren während der Militärdikatur in Argentinien im Exil in Kanada, Frankreich, New York und Buenos Aires, Direktor der argentinischen Nationalbibliothek, hat sich hier ein Herzensprojekt erfüllt – eine anschauliche Übersicht über Utopieentwürfe in der Literatur über fünf Jahrhunderte hinweg, bebildert mit Originaldokumenten, und das Ganze in einem Buch veröffentlicht, das als bibliophile Köstlichkeit angesehen werden kann. Ein Buch, das Sehnsüchte stillen kann: gerade in unsicheren, von gesellschaftichen Verwerfungen geprägten Zeiten, entwickeln Denker utopische Entwürfe, die auf eine bessere Welt abzielen, würde man sie denn befolgen, oder die an Machtpositionen Sitzenden wenigstens mit berücksichtigen in Entscheidungen.

Natürlich geht diese Geschichte der Utopie aus von Thomas Morus und seinem berühmten Utopia im 16. Jahrhundert – ein Werk, auf das sich die meisten späteren Entwürfe immer wieder bezogen haben. Allesamt, das kann man sagen, sind Utopieentwürfe Suchversuche nach Modellen einer besseren Welt, sei es religiös, sei es gesellschaftspolitisch begründet. Ob wir die Möglichkeit haben, diese Vorstellung von einem besseren, glücklichen, reicheren Ort zu verwirklichen, zählt dabei weniger als unsere Überzeugung, dass es ihn gibt, schreibt Manguel in seinem Vorwort. Es geht also darum, wie unsere Gesellschaften sein könnten oder sollten – den Grundstein legte Sokrates in seinem „Der Staat“ mit seinem „Bestreben, herauszufinden, ob wir als Spezies in der Lage sind, eine Gesellschaft zu entwerfen, in der wir alle, wenn nicht vollständig, so doch in angemessenem Maße glücklich sind und ein Minimum an Gerechtigkeit walten lassen.“ Und, ein wichtiges Postulat setzt Manguel an das Ende seines Vorworts: „Anders als die Politiker wissen Geschichtenerzähler, dass man die Realität nicht von der Realität trennen kann: Es steht einem lediglich frei, die Welt neu zu erfinden, um sie besser sehen und besser verstehen zu können.“

Also, Morus´ „Utopia“, veröffentlicht in Löwen, 1516, ist der neuzeitliche Ausgangsort für utopische Pläne und Entwürfe der nachfolgenden Autorengenerationen. Utopia als Nicht-Ort, als Ort, an dem die Bürger nicht nach Macht oder Reichtum unterschieden, sondern nach ihren moralischen Qualitäten unterschieden werden – ein Neuanfang im Denken der gesellschaftlichen Zusammenhänge. Fortsetzung findet dies, unter Einbeziehung religiösen Denkens, bei Francois Rabelais mit Gargantura, Lyon 1534. Hier soll das der Welt innewohnende Gute zum Tragen kommen. So stellt der Autor uns einen Utopiedenker nach dem anderen vor, Vasco de Quirogra, Bartolomo de Bene mit seiner Civitas Veri, der Stadt der Wahrheit, mit der Maßgabe, dass es für ein gutes Leben nicht genüge, Tugenden zu besitzen, sondern man müsse „von ihnen auch bestmöglichen Gebrauch machen“. Campanella, ein Schaubild von Andreäs Christianopolis, dem Entwurf einer Christenstadt, Bacon, Cyrano de Bergerac, Cavendish bis hin zu Gilmans „Herland“ 1915, Wright und schließlich den Entwurf Nutopia von John Lennon und Yoko Ono.

Sehr anschauliche Bilder, Umschläge der Bücher, Kartenentwürfe und Zeichnungen, dazu Reproduktionen werkbezogener Kunstwerke und Fotos, in herausragender Qualität, das Buch insgesamt, nimmt man es zur Hand, wertig was Verarbeitung und Gestaltung angeht.

Ein Lektüreerlebnis, und geeignet, es immer wieder durchzublättern.

Alberto Manguel: Sehnsucht Utopie. Eine Reise durch fünf Jahrhunderte. Geb., 104 S., Folio Verlag, Bozen/Wien 2018, 32 €.