Struktur und Farbe – viel Natur in Kunst

Harald Schwiers‘ Vernissage-Rede zur Ausstellung | Barbara Jäger und OMI Riesterer | 14.10. – 20.11.22 | Naturschutzzentrum KA-Rappenwört: Viel Natur in Kunst

OMI Riesterer und Barbara Jäger

Es gibt wohl kaum einen besseren Ort für eine gemeinsame Ausstellung von Barbara Jäger und OMI Riesterer, als das Naturschutzzentrum Rappenwört. Idyllisch, ja wildromantisch gelegen inmitten von Wildgehegen mit Rot- und Damwild und Schwarzkitteln, die schon beim Gang hierher einen tiefen Eindruck von „viel Natur“ hinterlassen – dazu die Architektur des Hauses, Bauhaus, also Kunst schon an sich, geradlinige Strukturen, wenn auch in die Jahre gekommen.

Die Natur drumherum, der Auwald oder was die Zivilisation davon übriggelassen hat, ist allerdings auch schon in die Jahre gekommen. Aber: Gesetzt es wäre im Wald hier ringsum aufgeräumt, es wäre ziemlich langweilig und taugte kaum zum Naherholungsgebiet für die Daxlander und Karlsruher.

Barbara Jäger und OMI Riesterer,
© Foto: privat

Künstlerpaare gibt es mehr als man denkt. Und sie beschränken sich nicht nur auf die bildende Kunst, sondern gehen durch alle Arten von künstlerischer Beschäftigung und Berufung. In der Musik sind sie sehr häufig vertreten, ebenso wie im Theater, nur: in aller Regel tragen die Partner ihre „alt-eingebürgerten“ Namen“ und firmieren nicht mit dem Bindestrich. Und auch wenn jeder der Partner seinen ureigenen Ausdrucksbereich hat – im aktuellen Fall kann ich Farbe und Malerei gegen Holz und Architektur beispielhaft anführen – so gibt es nicht nur mehr oder weniger deutliche oder versteckte Hinweise auf die jeweils andere Haupt-Disziplin des Partners. Es gibt eindeutige Überschneidungen, genauso wie Arbeiten, die völlig frei sind von irgendwelchen Andeutungen auf das Oeuvre des Partners. Wie in guten Ehen eben.

Und wie in einer guten Ehe gibt es natürlich auch Spannungen. Im Großen, wie im Kleinen. Das ist auch gut so. Denn aus solchen Spannungen – ich rede nicht von Zerreißproben – resultieren oft großartige Arbeiten. Im wahrsten Sinne des Wortes. So groß, dass sie nicht hier in den Raum passen würden. Sie erinnern sich sicher an die beiden Druckwalzen, die Barbara und OMI gemeinsam zu Musikwalzen umformten und -widmeten, die mit „La Paloma“ und die „Gedanken sind frei“ bestiftelt waren und an einem unbenannten Platz in der Karlsruher Oststadt, der landläufig nur „der falsche Kreisel“ genannt wird, wie zufällig platziert waren. Leider wurde dann die Straßenbahn über den Platz geführt. Wer diese tolle Arbeit im Original noch einmal sehen will, muss sich in die Orgelstadt Waldkirch begeben. Dort liegen die beiden guten Stücke. Der Weg lohnt allemal.

OMI Riesterers Musikwalzen in Karlsruhe
Standort 2008-2012, Ostauepark Karlsruhe, Foto: Barbara Jäger

Und wie zufällig platziert, das ist auch ein Stichwort für gemeinsame Arbeiten des Künstlerpaares und „wie zufällig“ bedeutet natürlich das glatte Gegenteil: Absichtlich, aber eben wie zufällig ausschauend. Dazu gehört eine große Portion Humor oder badisch-schwäbische Schlitzohrigkeit, die sowohl Barbara wie OMI auszeichnet. Mir fällt dabei „der Brunnen-Springer“ ein, der 2021 sommers mal in diesen, mal in jenen Karlsruher Brunnen sprang und schließlich den Ärger der Obrigkeit verursachte, weil man seitens der Stadtoberen glaubte, die Kunstfigur animiere unbedachte Bürger des nächtens, sich in die Brunnen zu stürzen. Welch Blödsinn!

So weit erstmal einführungsweise in das Werk beider Künstler. Wer mehr will, der konsultiere das World Wide Web. Denn: Hier und heute sind keine gemeinsamen Arbeiten zu finden. Wohl aber zu sehen sind die guten Einflüsse aufeinander. Nicht umsonst ist die Ausstellung mit „Struktur und Farbe – viel Natur in Kunst“ betitelt.

Widmen wir uns dem ersten Teil des Titels „Struktur und Farbe“. Farbe das ist offensichtlich, beherrscht die Papierarbeiten Barbara Jägers, wenn auch nicht so dominant, wie ihre Malerei auf Leinwand und in Öl. Während sich die Öl-Malerei meist in der klassischen Farbenskala bewegt – das schließt ja die zahlreichen Zwischentöne nicht aus – arbeitet Barbara Jäger mit dem Stift ganz anders. Hier Flächigkeit, teils unter Hervorhebung der Konturen oder Strukturen, huscht Ihr Farbstift scheinbar mühelos über das Papier. Das wirklich Verblüffende: Ändern Sie einfach mal die Perspektive (solange es noch hell ist oder kommen in den nächsten Tagen noch einmal her), gehen etwas in die Hocke und betrachten ein oder zwei der Ölbilder, haben dabei aber eines der Fenster noch im Gesichtskreis und richten den Fokus dann mal in Richtung Fenster, schauen hinaus und stellen dabei überraschende Parallelitäten fest. Farbe und Struktur finden sich hier wie dort; derzeit draußen naturgemäß mehr grün und braun, aber verhaltenes rot und gelb lässt sich dabei ebenfalls leicht herausfiltern.

Haben wir in Barbara Jägers Ölmalerei eher ein „indirekt nach der Natur“, sind ihre Zeichnungen „direkt nach der Natur“ entstanden, genauer: in der Natur, am Ort. Während ihr Strich in den älteren Arbeiten noch richtig kräftig erscheint, etwa in den Landschaften im Burgund oder an der Ardèche, erscheint das Merkmal in den deutlich jüngeren Zeichnungen weitaus durchsichtiger, lichtdurchfluteter und gleichzeitig zarter, zerbrechlicher. Vielleicht ein Hinweis darauf, dass diese Landschaften, etwa mit den für die Gegenden typischen Weinstöcken, nicht mehr so existieren. Der Raffzahn der Immobilienhaie schlägt auch und gerne in der Idylle zu. Bewundernswert ist bei diesen zarten Papierarbeiten auch die Sicherheit der den Stift führenden Hand. Denn einmal auf dem Blatt hilft nichts mehr dagegen. Das bleibt, steht. Verstreichen ist nicht, eine Korrektur nicht möglich. Aber: Barbara Jägers Striche sitzen genau da, wo sie hingehören.

„Struktur und Farbe“, das Motto der Ausstellung, findet sich, das wird Sie jetzt nicht wirklich überraschen, natürlich auch in den klein- und großskulpturalen Arbeiten von OMI Riesterer. Die Struktur ist naturgegeben und wird gemeinhin als Maserung bezeichnet. Aber wie bei einer guten und teuren Pfeife, die aus superhartem Bruyère-Holz, einer Art Macchia-Heide, das Aufspüren der Maserung eine wahre Kunst ist und – stimmen die weiteren Parameter – zu enormen Preisen führen, so ist das auch bei den Arbeiten von OMI. Einem Baumstamm anzusehen, was in ihm steckt, dazu gehört nicht nur Erfahrung und Weitblick, sondern vor allem Durchblick. Und für eine ordentliche Pfeife müssen Sie ebenso viel hinlegen, wie für einen OMI-Würfel. Mindestens. Kunst hier und Kunst dort.

Außer Maserung aber entdeckt das aufmerksame Auge in den Würfeln und Türmen, die aus gutem Grund an Architektur-Modelle oder Elemente davon erinnern, neben der Lebendigkeit unter der sorgfältigen Oberflächenbehandlung eine verhaltene Farbigkeit. Sie zeugt vom einstigen und jetzt vergangenen Leben des Holzes. Das kann dann durchaus schon einige Jahrhunderte dauern, bis das Stück Baum im Atelier von OMI Riesterer gelandet ist. Beispiel: Die fast schwarze Mooreiche, die aus der Zeit der Ausgrabung des Karlsruher Rheinhafens stammt. Deren Holz ist üblicherweise nicht zu erwerben und nur zur Erinnerung: Der Rheinhafen wurde 1902 eingeweiht. Als der Baum aus dem Sumpf gezogen wurde, hatte er vermutlich auch schon ein paar Jahrhunderte und Tulla überstanden. Da kommt dann schon eine Portion Ehrfurcht auf.

Das Praktische an den Würfeln von OMI Riesterer: Die Weisheit der Schule besagt, ein Würfel hat sechs Seiten. Das gilt auch für offene Würfel oder artverwandte Teile, dann eventuell plus/minus. Man kann um einen Würfel herumgehen. Gut, die Unterseite ist meist durch einen Sockel verdeckt. Aber mit ein wenig Phantasie kann der aufmerksame Betrachter aus den vier Seitenteilen und der Decke leicht auf die Unterseite schließen. Zum Üben empfehle ich den großen Roten Würfel draußen auf der Stele; bei dem kommt man leicht auf die Lösung. Einen Versuch ist es wert.

Und dabei werden Sie sehen – oder spätestens, wenn Sie nach Hause gehen – hier draußen liegt noch massenhaft Arbeits-Material rum. Damit sind die nächsten Ausstellungen auf jeden Fall gesichert!

© Harald Schwiers