Hinkelstein, der wöchentliche Newsletter des kunstportals baden-württemberg:
Jeden Sonntag früh frisch auf den Screen
The Composers Imagination – Nachdenken über Musik.
Nun ist am 17. Juni der große Pianist Alfred Brendel im Alter von 94 Jahren gestorben. Dies nehme ich zum Anlass, jetzt endlich ein lange geplantes Vorhaben anzugehen und verstärkt nachzudenken über Musik und deren Bedeutung in der Kunst und für unser Leben.
In unserer gesellschaftskritischen Hinkelstein Serie rückte zunehmend die (verbale) Sprache ins Zentrum unserer Überlegungen; die Sprache als Herrschafts- und Kontrollwerkzeug in einem möglicherweise gerade entstehenden globalen und totalitären Machtsystem. Hierzu , erschreckend aktuell: Die Gedanken sind frei (Konstantin Wecker, 2015) .
Gegenüber der Sprache erscheint uns die Musik ja zunächst intuitiv als eine Gegenwelt: Während Sprache kaum zu denken ist, ohne gleichzeitig Überlegungen anzustellen zur ihr inhärenten Möglichkeit der Reflexion, die das Wesen der Sprache auszumachen scheint, assoziieren wir zur Musik zuerst und vor allem das Gefühl. Dadurch ist Musik ein universelles Medium, das sogar alle lebenden Wesen zu erreichen vermag.
Ist Musik also auf eine andere Weise Kunst als etwa die Lyrik? Alfred Brendel scheint dies zu bejahen:
„Es stört mich, wenn man mich als Musiker einen Intellektuellen nennt. Für mich beginnt und endet die Musik im Gefühl, allerdings hat der Verstand eine wichtige Funktion als Filter.“
Zitat aus dem Nachruf von Alexander Camman in ZEIT online; 18.06.2025), den dieser so beginnt: Alfred Brendel war einer der ganz großen Pianisten des 20. Jahrhunderts – und ein einschüchternd universell gebildeter Denker und Autor. Nun ist er gestorben. Ein Nachruf.“:
Quelle: Alfred Brendel: Ein letzter Ton
Nun, wenn Brendel als Musiker kein Intellektueller war, so war er dies allemal, was sein Lebenswerk- als Musiker, Essayist und Lyriker – insgesamt betrifft:

Bild oben: Alfred Brendel (1931 bis 2025); © Foto: Helmut Fricke
Zweifellos hatte Brendel sehr viel zu sagen über die Verbindungen von Lyrik, Musik und Bildender Kunst; insbesondere galt er als als ein hervorragender Kenner der Lyrik, war Experte für die Romantik. Der Epoche, in welcher ja Musik und Lyrik als einander eng verbunden gesehen wurden; so schrieb Goethe 1832: „Musik ist die schönste und zugleich die einzige Sprache, die überall auf dieser Welt verstanden wird.“
Und Goethes „Novelle“, die 1828 veröffentlicht wurde, handelt von einem Jungen, der einen entflohenen Löwen durch sein Flötenspiel besänftigt.
Wir kommen offenbar zwangsläufig immer wieder zurück zu unserem Hauptthema: Macht und Herrschaft:
Gesellschaft und die Rolle der Künste darin.
Ob die Musik geeignet, gar ausreichend sein könnte zur friedlichen Bezwingung von Macht, sei dahingestellt. Doch solange wir frei denken und sprechen können, sind wir gezwungen, darüber – reflektierend – nachzudenken:
Ebendies tat der eben doch Intellektuelle Alfred Brendel wahrscheinlich immer schon; nach seiner Abschiedstournee als Pianist (2008) dann ausschließlich: Die Zeit zwischen Karriereende (2008) und Tod verbrachte Brendel mit dem, was er sonst noch so gerne und virtuos tat: schreiben, unterrichten, über Musik reden – und sich intensiv mit allen Künsten beschäftigen. (Quelle nochmals die ZEIT online: Alfred Brendel: Ein letzter Ton
Leider weiß ich über Brendels literarische Arbeit noch viel zu wenig, weshalb ich in diesem Hinkelstein öfter als sonst auf Zitate angewiesen bin. Dies jedoch guten Gewissens, da ich mich dabei nur aufhochwertige Quellen stütze und auch, weil es mir nur so möglich ist, mit zusammenfassenden, kurzen Texten den roten Faden zu unserem Gesamtthema Kunst und Gesellschaft immer wieder neu herzustellen.
In diesem Sinne verweise ich nachfolgend noch auf den kenntnisreichen Nachruf, den Gerald Felber in der FAZ veröffentlich hat: Verletzliche Schönheit

Bild oben: Alfred Brendel (1931–2025), hier auf einem Bild aus den frühen 1980er Jahren.; © Foto: Ullstein / Getty
2008 hatte sich der Pianist, souverän bei aller leisen Wehmut, von den Konzertpodien zurückgezogen und sich seitdem der schon lange parallel betriebenen Essayistik, Lyrik und nunmehr verbalen Vortragskunst zugewandt, womit er bis zuletzt sein ergebenes Publikum fand. …diese „Nebentätigkeiten“ …sind auch Ausdruck eines tiefen Strebens nach Universalität und All-Einheit, einem humanistischen Ganzen, das in der gegenwärtigen Ära auseinanderbröckelnder Diversitäten selten, wenn nicht sogar schon unauffindbar geworden ist. Man möchte dem Künstler darin in einer Zeit, wo alles traditionell Bildungsbürgerliche – noch kann man sagen: hoffentlich nicht endgültig – den Bach hinunterzugehen droht, unentwegt recht geben. (FAZ Nachruf)
Zusammenfassend charakterisiert Felber also den Künstler Brendel als Romantiker und Humanisten – und damit, wie er in dystopischem Unterton andeutet, als vielleicht längst aus der Zeit gefallenes Fossil bürgerlicher Hochkultur – der letzte Romantiker?
Einen der großen Schwerpunkte in der künstlerischen Arbeit Brendels bildete seine umfassende Beschäftigung mit dem Werk des ersten(?) Romantikers Franz Schubert; hierzu ein Beispiel:
Schubert Piano Sonata No 21 D 960 B flat major Alfred Brendel
Vielleicht knüpfen wir nochmal an an Brendel, der ja auch schrieb und nachdachte über alle Künste. Im vorletzten Künstlerinnenporträt hatten wir die Imagination als wichtiges Wesenselement der Kunst herausgearbeitet. Auch diese war Thema bei Alfred Brendel, dessen künstlerische (auch literarische) Arbeit wohl immer auch Forschung war. Es ging ihm um
„The Composers Imagination.“
Jürgen Linde am 22.06.2025
Unsere guten Nachrichten aus der Kunst am Sonntag, dem 22. Juni 2025 im kunstportal baden-württemberg:
Neu am 22. Juni 2025: | Künstler | 26.07.2025 | Paul Blau | Konzert und Ausstellung im Weingut Brunck, Schweigen | Dort, wo das Herz schlägt, sind wir gleich
Neu am 22. Juni 2025: | ZKM Karlsruhe | Fr, 18.07.2025; 15 – 18 Uhr | Hertzlab | »Open Hertzlab – Am offenen Her(t)zen«
Neu am 22. Juni 2025: | Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen | Aktualisiert: Programm August2025
Neu am 22. Juni 2025: | Städtische Galerie Karlsruhe | Do, 24.07.2025; 17 Uhr: | Kunst nach Feierabend: | „Lea Gocht: anhedonia II“ mit Christina Korzen
Neu am 22. Juni 2025: | Newsletter Hinkelstein: | Sonntag früh frisch auf den Screen: | Hinkelstein 44 vom 22. Juni 2025: | The Composers Imagination
Wir wünschen Ihnen einen wunderbaren Sonntag am besten mit Musik, so gut, dass sie der unerträglichen Hitze ein Schnippchen schlägt (wie das gehen soll, weiß ich auch nicht; kein Wunder angesichts dieser ominösen Redewendung).
Wie auch immer: Keine Ahnung; was solls, will sagen: Hauptsache egal; wir schaffen das!
Jürgen Linde am 22.06.2025