Bert E A Klag

Der Weg ist das Ziel – Von wegen Weg (Ziel:…)
4 Thesen zu Bert E.A. Klag

Atelier: Werftstraße 9, 76189 Karlsruhe
Bert E A Klag
Der Weg ist das Ziel – Von wegen Weg (Ziel:…)
4 Thesen zu Bert E.A. Klag

Der Abend gestern war recht anstrengend. 1,5 Stunden stehen, kein Rotwein zur Vernissage, auch kein Weißwein, nicht mal Bier. Nur Wasser in verschiedenen Sorten und trockene Brötchen; immerhin frisch gebacken. Die edlen Wassersorten hingegen weisen darauf hin, daß dies ncht ökonomische, sondern politische Gründe hatte. Eine Provokation?

“Laura Himmelreich” hieß das Ganze; eine Performance von Bert E:A: Klag in der Etage oberhalb seines Ateliers in der Werftsstraße mitten im Karlsruher Rheinhafen. Tolles Ambiente, als wir etwa um 19:05 Uhr hier ankommen und rausgucken. Noch ist es nicht dunkel und das eigenwillige Licht im Hafen ist ungewohnt, schön.
“Dem Karlsruher ist nicht bewußt, daß er in einer Hafenstadt wohnt” hat mir Bert Klag zuvor mal gesagt und damit auch mich, immerhin schon vor 10 Jahren zugereist, voll erwischt.

Der Hafen ist dann auch der entscheidende Bezgspunkt für Laura Himmelreich: Laura nämlich, als eine von derzeit 9 Millionen arbeitslosen Frauen in Europa eine rein fiktive Figur, hat im Hafen gearbeitet, im Büro einer Holzhandelsfirma, die Pleite gegangen war. Seitdem hat Laura ihre Identität verloren, die einzig und allein durch das “Arbeit haben” definiert war.

“Have I become the tent? If so, then from now on this cloned tent will be nomading the world”

Man könnte nun darüber streiten, ob dies nicht eine maßlose Übertreibung ist, weil doch wahrscheinlich unter den neuen Millionen arbeitslosen Frauen bestenfalls ganz ganz wenige sind, die sich selbst derart reduziert erleben. Auch die Vernissage-Bewirtung mit Wasser und Brot überzeichnet stärker als nötig. Doch anstatt hier zu streiten, will ich das politisch sicherlich korrekte Paradigma, in dem Laura entstand, als zulässige Überzeichnung im Rahmen der künstlerischen Freiheit durchgehen lassen und hier immerhin eines festhalten:

(Foto aus der Projektarbeit) “Der schöne Krieg”

1. These zu Bert E.A. Klag:
Bert E.A. Klag ist nicht allein ein politischer Mensch, sondern ein Künstler, der politische Themen explizit zu Themen seiner Kunst macht. Dies tut er provokativ.
Auch sonst ist Bert Klag kein unauffälliger Typ: mit seinem grauen Vollbart entspricht er ein wenig der Klischeevorstellung, die man vor zwanzig Jahren von einem Anarchisten hatte, und die Ironie, mit der er ihn trägt, deutet auch auf einen Humor, der in diese Richtung geht; gleichzeitig wirkt er, groß und charismatisch, wie ein Patriarch von der Klasse eines spanischen Landbesitzers.

Als er beispielsweise am 16. September in meinem Büro saß, setzte sich schon nach dem ersten Händedruck die spielerisch-rhetorische Auseinandersetzung fort, die schon telefonisch begonnen hatte. Wie ein professioneller Schauspieler artikuliert sich Bert Klag: seine rhetorische Treffsicherheit und Stimmodulationen machen ungemein viel Spaß. Als nach einigen Minuten meine Kollegin Veronika hinzukam, brachte diese ob der Präsenz und der Sprachgewalt von Bert Klag kaum mehr ein Wort heraus. Bei der Diskussion sehr ernster Themen wie Kunst und Wahrheit stellt Klag seine ironischen Äußerungen in Frage durch die Herzlichkeit in seinen Augen. Seit wir uns so kennengelernt haben, streiten wir um das letzte Wort und haben dabei viel Spaß.

“Nomadenzelte”

2. These zu Bert E.A. Klag:
Bert E.A. Klag ist ein außergewöhnlich herzlicher Mensch. Deshalb ist er sehr ironisch.
Kommen wir nun zu der chronologischen Schiene, mit der ich ja meistens versuche, Systematik und Übersicht zumindest zu suggerieren (Euch, liebe LeserInnen und v.a. auch mir selbst).
Nun denn: am 13. oder 14. September ruft mich Bert E.A. Klag an, und erzählt seltsame Dinge wie etwa, dass er den Auftrag habe, “mich zu knacken”. Nach und nach stellt sich heraus, dass er im November in der Galerie Brötzinger Art in Pforzheim eine Ausstellung plant und diese – wie es sich gehört – natürlich in der Virtuellen Kulturregion per Preview vorangekündigt werden soll. Die Vereinschefin der Brötzinger Art also hat “ihn auf mich angesetzt”. Das Gespräch endet mit der Vereinbarung, dass er uns am 16.09. besucht. (siehe oben).

Da es bei der Ausstellung “Fax-Art” (05. Bis 28.11.) ausschließlich um DIN A4-Formate geht, hat er gleich einen Koffer voll dabei und klagt über das Gewicht der Kunst. Ich kontere, daß er ja immerhin “tragbare” Kunst produziere und keine tonnenschweren Skulpturen – denn diese hätten wir auch nicht auf den Scanner legen können, wie die mitgebrachten Bilder und dann sogar die rechte Hand von Bert Klag, der sich für die Technik und die Qualität der Bilder am Schirm sehr begeisterte.

Zwischenzeitig war er nochmals zu Besuch, um die fertig bearbeiteten Bilder – und den sehr interessanten Text dazu von ihm selbst – auch online anzusehen und gestern schließlich, am 16.10.99, haben wir ihn besucht – und Laura Himmelreich; eines von vielen großen, immer eigenwilligen Projekten von Bert Klag. Auf Schildern am Hafengebäude und am Ateliereingang steht B.E.A.KLAG, wobei das erste A um 180 Grad gedreht ist, wodurch der Eindruck eines Firmenlogos entsteht. Ist ja auch eine Marke für sich.

“Kleine Bauchtänzerin”, 1995
(aus der DIN-A4 Serie für die Klag Fax-Art)

Schon die Einladungskarte war natürlich keine Karte, sondern die Seite einer Tageszeitung namens Laura Himmelreich: auf vollem Zeitungsformat und beidseitig bedruckt hat Bert Klag sachliche, ironische, halb- und ganz schräge Texte zu seinem “Thema Laura Himmelreich als eine von 9 Millionen arbeitslosen Frauen” geschrieben und gesetzt. Im Impressum zeichnet er selbst “Unverantwortlich für alle Texte”.
„Von wegen Weg (Ziel: Werftstr. 9) stand unter der Wegbeschreibung.

Die professionelle Optik deutet die enorme Fleißarbeit an, die hinter dem groß angelegten Projekt steht. Ein volles Jahr haben Bert Klag und seine Mitstreiter dieses Projekt verfolgt und hatten es sogar schon einmal aufgegeben. Doch Bert Klag wurde seiner Verantwortung für Laura gerecht: für ihn von der Fiktion zur Lebenden geworden, kennt er ihren Geschmack (Teddybären, die Farbe Rosa, Süßigkeiten) und ihre Wünsche.

Lauras Persönlichkeit, ihre psychologische Konstitution und Situation sind es nun, die die Installation, die mehrere mit größter Exaktheit und Freude am Detail gestaltete Räume umfaßt, auf einer nicht sichtbaren und doch sehr präsenten Ebene verbindet.
“leere Räume arbeitslos” ist ein Untertitel der Installation; die Räume sind jedoch nicht leer, sondern zeigen in Farben und Requisiten (darunter ein Schreibtisch mit hunderten von Details) die Seelenzustände von Laura.

Postkarte (aus: “Der schöne Krieg”)

Aus einer Unzahl fein abgestimmter Elemente schafft Klag eine durchgängige Atmosphäre, die Einheit in der Installation der auch einzeln jeweils kunstvoll gestalteten Räume.
Zur Vernissage las der Künstler Martin Schmitt kurze Auszüge aus Lauras Tagebuch, das er geschrieben hat; der vielseitig begabte Martin beendet auch das Eröffnungsprogramm mit einem Lied für Laura zur Gitarre.
Massenarbeitslosigkeit – sicher ein zeitgerechtes Thema, aber alles andere als ein marktgerechtes für einen Künstler. So kamen auch mehrere wichtige Leute nicht zur Performance, obwohl sie es fest zugesagt hatten.

Bert Klag steckt das weg; es ärgert ihn und trifft ihn doch nicht wirklich. Denn Bert Klag wählt seine Themen eigentlich nicht aus: sie entwickeln sich vielmehr aus seiner künstlerischen Arbeit insgesamt und nehmen ihn in Besitz. Obsession ist das richtige Wort für die Arbeitsweise von Bert Klag.

So finden sich in der langen Liste von Projekten und Ausstellungen viele Aktivitäten, die sich über mehrere Jahre erstrecken. Drei seiner Themen erscheinen als besonders wichtig:
Zuletzt werden wir auf Klags aktuelle Arbeit – die menoräischen Zelte – eingehen; davor ist “Der schöne Krieg” Thema, wieder ein Beispiel für Klags kompromißlose und provokative Themenauswahl.

Zuerst jedoch geht es um die “Kniereise”:
Beginnend Januar 1992 war Bert Klag in vielen europäischen Ländern unterwegs, um Kanaldeckel in den Städten durch eine speziell entwickelte Technik des graphischen Abriebs festzuhalten. Klag, der mit dieser eigenwilligen Arbeit einen Sichtwechsel und Paradigmenwechsel vollzieht, spricht von “Kanaldeckel-Frottagen”.

1994 ist, anläßlich der Ausstellung dieser Arbeiten im Badischen Kunstverein Karlsruhe ein Katalog erschienen. In seinem Beitrag “Optionen auf die Rückgewinnung von Geschichte” schreibt darin Andreas Vowinckel: “Mit dem graphischen Abrieb von Straßen/Kanaldeckeln aus ganz Europa wird eine vorgefundene Form- und Struktureinheit ins bildnerische übertragen und inhaltlich abstrahiert. Zugleich werden hiermit Konflikte ausgetragen, deren Konsequenzen für die traditionelle Kunstpraxis und die Kriterien ihrer Beurteilung noch nicht absehbar sind.”

aus dem Zyklus “Der schöne Krieg”

Vowinckel weiter: “Dennoch eröffnen sie jene Perspektiven der Bilderzeugung, deren Inhalte sich ausschließlich in der Wahrnehmung, im Denken, in der Fantasie des Betrachters zu konkreten Aussagen verdichten: Optionen auf die Rückgewinnung von Geschichte…”
Tatsächlich entwickelt Klag mit dieser Arbeit, die notwendigerweise auf den Knien zu verrichten war, die Perspektive zu einer “Geschichte von unten”, nicht im soziologisch-historischen, sondern in einem ästhetischen Sinne.

“Kniereisen sind Feldzüge gegen die Gewöhnung, die ein Stück höher spielt” schreibt Klag selbst einleitend in seinem Katalog. Wie ein Don Quichote könnte einem der Künstler erscheinen in solchen Sätzen, in denen er sich selbst stilisiert. Tatsächlich ist Klag ein radikaler Moralist, der tut, was er tun muß – ohne jeden Abstand. Ohne jeden Abstand?

Nein doch nicht. Zwar ist ihm die “Ästhetik des Widerstandes”, mit der einst ein Philosoph aufstand, um gegen einen zerstörerischen Sturm zu empört protestierend das Wort zu erheben, keineswegs fremd. Aber Bert Klag ist als Künstler und Ästhet gleichzeitig politischer Mensch. Seine Provokationen sind nicht Selbstzweck, nicht ziellos.
3. These zu Bert E.A. Klag:
Bert E.A. Klag ist ein radikaler Moralist. Trotzdem ist er nicht naiv; zum Glück.

Die wahrscheinlich deutlichste Provokation Klags: “Der Schöne Krieg”.
“Kerzen und Blut – Schönheit und Krieg: scheinbare Unvereinbarkeiten, die sich unter Klags an Verzweiflung grenzender Suche nach Aufrichtigkeit und unter seiner Wut gegen Kriegshetzer, Giftproduzenten, aber auch gegen die mit Willfährigkeit folgenden Massen nicht nur als vereinbar, sondern als zwei durchaus zusammengehörende Komponenten erweisen”
Gabriele Meyer, Journalistin (Rede zur Ausstellungseröffnung)
Auch gegen den Krieg, konkret gegen die verheerenden Landminen richtet sich dieser Feldzug Klags; und wie immer hat er ausführlich recherchiert: “20000 verschiedene Modelle wetteifern um die Gunst der Käufer” steht in der Mappe, in der er mir 10 Drucke zum Thema überreicht. Teilweise entstanden in der schon von der Kniereise bekannten “Frottage-Technik” werden hier die Minen Gegenstand der Kunst: Der schöne Krieg.

Landmine (aus dem Projekt “Der schöne Krieg”)

Zwar stellt Klag selbst in Frage, ob der Ausstellungstitel zynisch oder adäquat ist, doch haben wir inzwischen genug von Klag gelernt um zu wissen, daß hier kein Widerspruch besteht: der Titel ist adäquat, weil er zynisch ist. Deshalb ist er dann auch nicht wirklich zynisch.
In Bert Klags Radikalität liegt die Hoffnung, nicht alleine zu stehen mit seinen Zielen, Hoffnung auf die Menschen. Klags Provokationen sind nicht Selbstzweck, erst recht nicht Zynismus, sie sind
Appelle. Bert Klag weist darauf hin, daß ja inzwischen der Einsatz von Landminen weltweit geächtet wurde; er hat dazu seinen Beitrag geleistet.

Versuchen wir, vor dem letzten Kapitel, eine Zusammenfassung: ein Künstler, der sich in seiner Arbeit explizit mit politischen Themen befasst, ist schwieriger zu verstehen, als einer, der seine Arbeit nur als politisch begreift – ohne daß man dies unmittelbar erkennen kann. Wegen des radikalen Moralismus des Bert Klag hatte ich zunächst ein wenig Angst: jemand, der auf diese Weise klar sieht, muß versuchen, die Welt zu verändern. Nun ist dies nicht allein völlig außer Mode und unzeitgemäß, sondern führt doch leicht auch zur totalen Vereinsamung und Verzweiflung. Bert Klag, der an sehr vielem zweifelt, ist jedoch überhaupt nicht verzweifelt.

Diesen Widerspruch, der natürlich wieder mal keiner ist, wollen wir zu klären versuchen. Klags aktuelle Arbeit an seinen menoräischen Zelten weist uns dazu den Weg.
Der weit gereiste Bert Klag, der unter anderem eineinhalb Jahre in Kalifornien und ein viertel Jahr in Argentinien gelebt hat, hat auch eine Weile mit Nomaden gelebt – und dabei viel gelernt.

“Nomadenzelte”

In der Lebensweise der Nomaden findet Klag eine Einheit zwischen Mensch und Natur, die sehr viel Hoffnung bereithält – sogar auf Frieden. Frieden des einzelnen mit der Gesellschaft wie der Menschen untereinander. Dies Hoffnung weist weit über den Horizont des eigenen Lebens hinaus und bedarf nicht der selbst erlebten Erfüllung. Das ästhetische Prinzip aber, das für Bert Klag diese Chancen birgt, entwickelt Klag in seinen menoräischen Zelten:

“Sie waren nie Ziel, sondern sind das Ergebnis jahrzehntelanger künstlerischer und grundsätzlicher Auseinandersetzung mit dem Prinzip Nomadenzelt.
Reisen auf Dromedarrücken, im Jeep und zu Fuß auf unterschiedlichen Erdteilen.

Die Beschäftigung mit Nomadenzelten gebar eine Vielzahl künstlerisch/ethnologischer Zeltaussagen in Wort und BiId. Das Zelt wurde vor Ort skizziert, fotografiert, dann gemalt, collagiert, modelliert und in Gedichte gefaßt. Das zog sich Jahre hin, bis sich im Unterbewußtsein ein erhebliches Selbstverständnis im Umgang mit dem Gesamtthema einstellte. Ein Formenkanon entstand, der immer engere und präzisere Aussagen evozierte, bis der Begriff Haut und Knochen im Raum stand. Er überträgt das Grundprinzip des Zeltes auf den Menschen.

“Nomadenzelte”

Das meint: so wie das Zelt Stangen als Träger braucht und darüber eine Zelthülle, die zusammen mit einer Außenspannung durch Seile den Gegenstand Zelt ausmachen, so bietet sich beim Mensch Vergleichbares an:
Jetzt heißt der Träger Rückgrat und an die Stelle der Zelthülle tritt unsere Haut. Die Spannung der Hülle hat sich weg von von der Außenspannung hin zur muskulären Binnenspannung verändert.

So ist das beweglichste, nach der Höhle wohl auch das älteste “Haus” des Menschen, im Analogieschluß, in gewisser Weise auch Abbild des Menschen.
Ab dieser zwingenden Erkenntnis verengte sich der bildnerische Umgang mit dem Zeltthema total. Die Filz-Zelthaut wurde zum Bildträger, in den das Skelett eingebrannt wird. Es entstand der erste Werksatz menoräischer Zelte.

Klags Katalog, der mit diesem erklärenden Text beginnt, endet mit einem Gedicht; für mich das ästhetische Prinzip, mit dem der Künstler Bert Klag all die Gegensätze vereint, die ihn für uns so interessant machen:

Mit meinen
Zelten
Für immer
eins sein
und selbst
schwarzes Zelt
werden

Ich hatte erzählt, daß man mit Bert Klag vortrefflich um das letzte Wort streiten kann. Diesmal wollen wir es ihm lassen. Als Künstler natürlich auch (sehr) eitel, will Klag sein Alter nicht verraten.
Obwohl der Altersweisheit nach eigener Aussage sehr nahe, hat er doch noch sehr viel zu tun.

“Menoräische Zelte”

Weitere Projekte reifen heran, die ihn in Besitz nehmen werden. Denn selbst die Einheit, die er philosophisch in seinem Gedicht heraufbeschwört, verspricht darin keine Ruhe, sondern Tun:
Denn das Gedicht endet:

und selbst
schwarzes Zelt
werden

Jürgen Linde, 1999