René Kanzler im Internet: | Website: www.renekanzler.de
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Wunderbare Naturfotografien – auf sehr interessante Weise verfremdet und feinfühlig reduziert – Bilder der Galerie Artlantis (Stuttgart), wo der in Karlsruhe lebende Künstler René Kanzler gerade (bis 27.05.2017) ausstellt, wecken mein Interesse und dann schnell Begeisterung für diese Arbeit.
“René Kanzler – arts research” findet, wer diesen Künstler “googelt“. Klingt offenbar nach Wissenschaft und ein wenig befürchtete ich, dass das es recht kopflastig werden könnte, die Arbeit von René zu präsentieren. Dass ich auf einen großkopfigen Kunsttheoretiker treffe, der mich womöglich kaum zu Wort kommen lassen wird.
Wieder mal habe ich mich getäuscht: Der Künstler, den ich dann in Karlsruhe kennenlernte war ganz anders – ein sehr herzlicher Mensch, ein quicklebendiger Mann.
Bald erklärt er mir, dass es ihm darum gehe, sinnlich intensive Bilder zu produzieren, was ja, ganz offenbar auch hervorragend gelingt.
Der Name René Kanzler ist verbunden mit dem Begriff der “Imaginary Photography“, den er selbst stark geprägt hat, aber heute kaum mehr verwendet: Das Fotografieren ist nicht seine Kunst, sondern mehr nur ein Werkzeug, das er einsetzt, um seine Arbeiten zu produzieren.
Die ersten Bilder, die ich sah, gehören zur Serie “Industrial Peace” – Naturaufnahmen, deren fotografischen Ursprung man sofort sieht oder erahnt, und dann doch zu zweifeln beginnt, ob es sich nicht vielleicht doch um Zeichnungen handelt oder um eine Mischtechnik aus beiden Welten – so reduziert sind diese Bilder, die als Diptychon auf Leinwand präsentiert werden.
So kommen doch Technik und Wissenschaft unweigerlich ins Spiel und müssen hier thematisiert werden. Im Gespräch wird schnell klar, dass Kanzler seine Kunst vor einem umfassenden wissenschaftlichen Hintergrund entwickelt, zu welchem sowohl wahrnehmungstheoretische Erkenntnisse und Studien als auch mathematische Modelle gehören. All dies zu recherchieren und zu erläutern würde unseren Rahmen hier bei weitem sprengen.
Daher wollen wir uns hier fokussieren auf den philosophisch-theoretischen Überbau, der die Vorgehensweise des Künstlers motiviert und insofern auch ansatzweise erklärt, wie aus (auch) wissenschaftlichem Arbeiten am Ende derart ansprechende und vielfältige Kunst entstehen kann.
Ein zentrales Element des Ansatzes von René Kanzler, der als Künstler längst internationale Präsenz und zahlreiche Preise erhalten hat, ist es, unser Sehen, unsere Wahrnehmung radikal zu hinterfragen. Kommt uns ja irgendwie bekannt vor. Hier denken wir gleich an Kant und dessen – kulturrevolutionär wirkende – Transzendentale Ästhetik (“Kritik der reinen Vernunft”) “Ich fasse das mal drastisch zusammen:
Kant erkannte, dass wir Menschen die Welt vorurteilsvoll betrachten: Raum und Zeit als Kategorien a priori bestimmen unsere Wahrnehmung der äußeren Welt – und doch wissen wir nicht, ob diese Kategorien “objektiv“ vorhanden sind oder ob sie einfach nur Aspekte sind, die unserer Wahrnehmung zuzurechnen sind. Das berühmte “Ding an sich” gab es daher für Kant nicht, nur unsere Vorstellung davon.
Vor dem Hintergrund späterer Gehirnforschung und wahrnehmungsphilosophischer (und – physiologischer) Erkenntnisse vertritt nun Kanzler, wenn ich dies recht verstehe, eine noch radikalere Variante dieser kant’schen (ja, eigentlich) Bescheidenheit.
“Es gibt kein singuläres Bild“ sagt René Kanzler mit Überzeugungskraft. Nicht nur, dass wir das Bild spätestens seit Hans Beltings kunsttheoretischen Überlegungen nicht an der Wand, sondern in unseren Köpfen zu verorten gelernt haben: René geht noch einen wesentlichen Schritt weiter:
“Das Bild, das ich heute sehe, ist nicht mehr dasselbe Bild, das ich vor 5 Wochen am selben Platz (und höchstwahrscheinlich physikalisch identisch) an derselben Wand gesehen habe, weil ja meine Seh- und sonstigen Erfahrungen der letzten 5 Wochen meine Wahrnehmung verändert haben“, erklärt der Künstler, wobei nicht ganz klar ist, in welcher Gewichtung hier empirische Erfahrung und theoretischer Ansatz zusammenspielen.
Spannend, und ich finde: grundsätzlich sehr plausibel sind diese Überlegungen allemal, und wir sollten nachdenken, was daraus folgt: Hilfreich erscheint mir, die Bildserie “Low Cut” des Werkkomplexes “Lifelines Trilogy” genauer zu untersuchen:
Hier hat Kanzler eine ganze Reihe von Bildern mit dem Skalpell bearbeitet, um die gegenständlichen Elemente zu entfernen, so dass entsprechend nur die Hintergründe übrigblieben – die Reproduktion der Bildblöcke war dann ein zweiter Schritt…
…der wohl auch dem Betrachter überlassen werden könnte. René Kanzler macht sichtbar, dass uns als Kunstbetrachtern durchaus eine wichtige Rolle/Aufgabe zukommt. Und wenn wir mit dem Künstler davon ausgehen, dass wir jedes Bild im oben beschriebenen Sinne nur einmal sehen, dann erweitert dies den Bilderreichtum unserer Welt noch weiter.
Umso wichtiger ist es, angesichts der heutigen Bilderflut, gut auszuwählen, und die Bilder zu finden, die zu erleben uns gut tut oder wichtig ist. Kanzler liefert dazu einige.
Als ich ihn darauf anspreche, dass er ja durchaus stark wissenschaftlich arbeitet, lacht er – ohne dies abzustreiten. So fällt mir am Ende unserer Begegnung ein, dass René Kanzler die Verbindung von Wissenschaft und Kunst auf eigene Weise interpretiert, indem er sinnliches Erleben und Wissenschaft neu kombiniert.
Meine letzte These für dieses Mal: Kunst und Wissenschaft gehören sowieso zusammen, den vielzitierten “alten Griechen” war dies klar. Das ZKM in Karlsruhe – und andere – bestätigen, dass dies weiterhin gilt.
René Kanzler, so scheint mir, geht noch einen Schritt weiter – er zeigt uns:
Es ist die Kunst, die Wissen schafft.
Jürgen Linde im Mai 2017