Christian Möller
Berlin, Germany
E-Mail: mail@christianmoeller.eu
Internet: www.christianmoeller.eu
Chaos, Ernst und Ehrlichkeit – Gedankenversuche zur Arbeit von Christian Möller
Hin und Hergerissen.
Hin oder Her?
hin UND her.
„Bewußt, ganz bewußt wähle ich eine deutliche Formulierung, die auf der vordergründigen Ebene roh und ungeschliffen, wüst und überhaupt keiner Handlung mehr behaftet ist. Meine „unmittelbare Rangehensweise“ ist jedoch nicht darauf ausgelegt, zu übersehen“.
Christian Möller über seine Arbeitsweise (im Katalog der 1998er Stipendiaten der Kunststiftung)
Ich war hin- und hergerissen. Es war bei der Eröffnung der Ausstellung von Christian Möller und Axel Brandt im Haus der Kunststiftung Baden-Württemberg am 24.11.1999. Axel Brandt – und den feinsinnigen Humor seiner Bilder – kannte ich bereits aus einer früheren Ausstellung in Karlsruhe.
Christian Möllers Kunst hat mich erst an diesem Abend erschlagen: wie ein Schock treffen mich diese Arbeiten, die auf den ersten Blick Unruhe und Gewalt auszudrücken scheinen. Von ganz tief innen kommen sie; in der Einführung zur Ausstellung war gar von „ausgekotzten Gefühlen“ die Rede, was für mich nicht zu stimmen schien.
Auf den zweiten, besser dritten Blick erscheint es mir dann, als würde ich in einen Spiegel schauen. Ich habe eine Ruhe in den Bildern entdeckt, eine Abgeschlossenheit – nicht im Sinne von „verschlossen“, sondern als ein abgeschlossener Arbeitsprozeß.- Dieser eine Ausdruck ist getroffen, das Bild ist fertig.
Als ich diesen Anfang noch mal lese, erschrecke ich: erst Unruhe und Gewalt, dann ein Spiegel. Beides stimmt, obwohl ich nicht gewaltätig bin; die Unruhe war stark, denn am morgen des Eröffnungstages hatte ich einen sehr wichtigen und positiv verlaufenen Termin, den ich bei dieser Gelegenheit ein wenig feiern wollte.
Was jetzt: hin oder hergerissen?
Bei den Eröffnungen der Kunststiftung gibt es immer Badischen Rotwein – zum Ausgleich dafür, daß diese baden-württembergische Institution ihren Sitz in Stuttgart hat. So ist es schon zwei, drei Glas Wein später, als ich Christian kennenlerne.
Inzwischen weiß ich, daß Christian nicht nur ein interessanter Künstler ist, sondern nebenbei auch einen erfrischenden Humor besitzt. Er entlarvt mit Sprachwitz Klischees und Dummheit in Gesellschaft und Politik, auf die er sich aber nur scheinbar einläßt. Wirklich ernst nimmt er andere Menschen; Kommunikation – über die oft einsam machende künstlerische Arbeit hinaus- ist ihm sehr wichtig. Mit Christian zu sprechen, macht Spaß,
Das mit dem Humor kann ich beweisen: Neben zwei Mappen mit Kunst (im engeren Sinne) läßt er mir auch einen Umschlag da, darauf steht „Christian Möller Wahlkampf Ettlingen 95“
Nun ist das eine lange Geschichte, die vollständig zu erzählen unseren Rahmen sprengen würde.
Wie so viele Künstler war Christian Möller damals ohne festes
Einkommen und arbeitete ab und zu auf dem Friedhof. Von der Behörde gedrängt, sich zu bewerben, kam Möller dieser Aufforderung nach, was dann – auf den geheimnisvollen und grundsätzlich nicht nachvollziehbaren – Wegen der Bürokratie schließlich dazu führte, daß Möller als OB-Kandidat aufgestellt worden war.
Natürlich kann ich nicht ausschließen, daß die eine oder andere ironische Formulierung in Christan Möllers Briefwechsel mit der Bürokratie zu dieser Entwicklung beigetragen hat, doch sicher ist: Möller hat dies nicht angestrebt
Nun aber einmal als Kandidat aufgestellt, was lag da näher, als die Sache anzugehen und Kunst daraus zu machen?
Christian Möller ist auch in der Rolle als OB-Bewerber Künstler geblieben und er bleibt als Künstler humorvoll.
Und das mit allem notwendigen Ernst:
„…das Schöne ist, daß ich wirklich alles aus mir selbst entwickeln kann. Und wenn ich dann sehe, daß das mit mir in Übereinstimmung steht, dann habe ich schon sehr viel erreicht…Entscheidend ist, daß eine Notwendigkeit darin liegt, so etwas zu tun, eine Tätigkeit auszuüben, die nicht unbedingt den erkennbaren Widerwert hat. Es kann alles sein. Es kann in jedem Moment alles sein. Es ist im Prinzip nichts anderes als das Leben. Es läßt sich nicht fassen. Es läßt sich nicht eingrenzen. Ich versuche , aus der Bewegung heraus etwas zu entwickeln.“
JD: Suche nach dem Ausdruck, nach der Form?
„Nach der Form, ja. Deshalb habe ich auch die Farbe herausgelassen. Ich glaube, die Farbe wertet zu sehr. Schwarz und Weiß sind Grenzwerte. Entscheidend ist die Form. Ich überlasse der Form mehr Freiheit, wenn ich sie nicht mit Farbe bewerte.“
Aus einem Gespräch zwischen Dr. Jutta Dresch und Christian Möller; aus dessen Katalog „Wir Kinder vom Rhein“ von 1994.
Womit wir Christians Lebenslauf berühren: er kommt aus Ludwigshafen und ist genauso alt wie ich, der ich von der Gegenseite (Mannheim) stamme.
Unterstützt vom erwähnten Verzicht auf Farbe bewahren die Bilder für mich einen tiefen Ernst und erreichen mich zunächst auf eine fast vereinnahmende Weise. Sie drängen mir die Themen – meine Themen – nach oben: ich ahne den Tod, der von Beginn an als Gegenstück das Leben mitdefiniert; erinnere die Hoffnungen und Wünsche der Kindheit, und die schmerzhafte Desillusionierung des Lebens, dessen chaotischer Verlauf hier Raum und Form greift.
Jetzt besser aufhören: der Versuch, diese Dialektik des Lebens zu beschreiben, die Christian zu thematisieren scheint, sollte, wenn es denn schon mit sprachlichen Mitteln sein muß, den wahren Lyrikern und damit wiederum der Kunst vorbehalten bleiben.
Trotzdem noch eines:
Ich finde in Christians Bildern selbst erlebtes Leben, Ängste, Hoffnungen und Ent-Täuschungen und Glück wieder, erlebe die Bilder ausgesprochen persönlich.
Aber nicht als aggressiv oder entlarvend, sondern eher mit einem ironisch-solidarischen Augenzwinkern: sie beinhalten für mich auch die Distanz, die man braucht, um zu leben – trotz alledem.
Auch die nicht ganz alltäglichen Titel der Bilder helfen in dieser Hinsicht. Insofern war ich also wirklich hin- UND hergerissen.
Jetzt noch ein gutes Schlußwort, dann nichts verbales mehr. Um es mit Franz Biberkopf (Döblin, Berlin Alexanderplatz)zu sagen:
„am wichtigsten sind Augen und Füße
Man muß das Leben sehen, um zu ihm hinzugehen.„
© Jürgen LInde, 2000 (überarbeitet 2011)