über Christian Jankowski, who was told to go with the flow

I was told to go with the flow – so der Titel der retrospektiv angelegten großen Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen in 2022 – endlich Gelegenheit, den international agierenden Künstler persönlich kennenzulernen.

Aktionen, Konzept, Video, Zeichnung – die Vielfalt der Arbeit Jankowskis ist frappierend, wieder ein Künstler, der alle Grenzen überschreitet und in keine Schublade passt. Dies macht uns neugierig und dann, na ja: ein wenig auch ängstlich:
Nicht zuletzt die rhetorische Stärke, die starke Präsenz des charmant – und ironisch/verführerisch – auftretenden Künstlers wirft für mich die Frage auf:
If he was told to go with the flow; who told him to do so?
Sind hier womöglich höhere Mächte im Spiel? Wir erinnern uns gerne an Sigmar Polke: “Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen”.

Jankowski ist eher kein Schwarzmaler, aber ähnlich wie bei Polke ist seine Arbeit ironisch; verspielt sein Umgang mit den Gegenständen und Themen, die er in den Blick rückt. Was hat er vor, wo will er hin – er, der als der “Travelling Artist“ ja wirklich immer unterwegs ist. Im Gespräch erklärt er mir, dass seine Kunst selten im Atelier entsteht, sondern eher in Bezug zu den Orten, an denen er seine Präsentationen, mal aus eigenem Antrieb, mal auch eingeladen von Freunden seiner Arbeit, zelebriert.
Zeit ist es, eine Ermittlung zu starten. Ermittlungen beginnen ja gewöhnlich, jeder Krimilseser weiß dies, mit einer Bestandsaufnahme der vorliegenden Fakten – also: Was haben wir?:
In meiner intuitivistisch organisierten Ermittlungsarbeit nutze ich insbesondere als zentrale Technik: | Intuive Momentaufnahmen.
Versuchen wir zuerst, uns einen *Überblick zu verschaffen: Immer wieder ist der Künstler, dem konkret (also juristisch) nichts vorzuwerfen ist, auffällig geworden, mit öffentlichen – und sehr öffentlichkeitswirksamen – Live-Aktionen, wobei er auch vor dem Einsatz von Waffen nicht zurückschreckt:
1) DieJagd: | Viele erinnern sich bestimmt an die „Jagd“ – Jankowski ernährte sich eine Woche klang ausschließlich von Lebensmitteln, die er zuvor im Einkaufsladen mit Pfeil und Bogen erlegt hat. Anschließend hat er sie ordnungsgemäß an der Kasse bezahlt; mehrfach wohl auch mit Kreditkarte. Aber immer korrekt. Soweit OK also.
Und dennoch sehen wir schon: die öffentliche Wirkung selbst scheint sein Ziel zu ein; unsere Konsum- und Mediengesellschaft gehört zu seinen zentralen Themen, die er durch seine Kunstaktionen kritisch beleuchtet.

Mit der Jagd hat er derart viel Aufmerksamkeit bewirkt, dass ihn die Hamburger Kunstakademie, die seine Bewerbung als Student zuerst abgelehnt hatte, schließlich doch aufnahm. Jankowsi fährt, das sehen wir schon jetzt, eine Doppelstrategie: er kritisiert die Öffentlichkeit, entlarvt womöglich deren Oberflächkeit, benutzt sie jedoch gleichzeitig für seine eigenen Zwecke. Einfach nur klug, oder aber (mein Verdacht!): diabolisch?:
Vielleicht, so meine meine Kollegin, Hauptkommissarin Klara Sehen, vielleicht hat ihm hier eine Stimme eingeflüstert: „Gut gemacht, Christian, weiter so – go with the Flow – und gib Gas“.
Tatsächlich ging es seither immer weiter mit spektakulären Aktionen verschiedenster Art; so bunt gemischt, dass ein roter Faden – ein durchgängiges Handlungsmuster – kaum zu erkennen ist. Doch immer wieder rückt er die Medienwirklichkeit – auch ganz explizit – betont kritisch in den Blick.
Ich selbst habe zunehmend den Verdacht, dass Christian Jankowski die Mediengesellschaft, die er angreift und gleichzeitig nutzt, dahingehend durchschaut, dass er sie als Teil der großen Verdummungs-Maschine sieht, als die die Medienwelt uns heute erscheint: Seit das Internet hier dominantwurde, ist ja tatsächlich kaum zu bestreiten, dass die Medien darüber bestimmen, was wir als Wirklichkeit sehen – was wichtig . Jede Agenda wird hier festgelegt und dann kann tagelang ein “einziges Thema“ so im Mittelpunkt stehen, dass alles andere ausgeblendet wird, als sei es nicht vorhanden. Politiker kommunizieren Meinungen und Entscheidungen zuerst als Tweets im Internet, wo mediale Pop-Stars wie Donald Trump und Elon Mask dann um die Zahl der Follower konkurrireren. Man muss nicht Künstler sein, um dies zu sehen, aber vielleicht kann ein – auch kommunikativ – hochbegabter Künstler, diese Mechanismen zu seinen Zwecken steuern? Im Dialog jedenfalls widerspricht der Künstler dieser Idee der Verdummungs-Maschine nicht.
(2.) Raum durch Handlung
Jankowski hat studiert bei Prof. Franz Erhard Walther, der ja wahrscheinlich als der Erfinder der interaktiven Kunst gelten sollte – hier in einem ganz konkreten und körperlichen Sinn: Walther holte die Kunstbetrachter aus ihrer passiven Rolle; er motivierte sie, durch eigenen Teilnahme, durch eigene Bewegung Teil der skulpturalen Werke des Künstlers zu werden – Raum durch Handlung war seinerzeit (im Jahr 2012) der Titel der Ausstellung Walthers im Karlsruher ZKM und gleichzeitig dann auch der Titel unseres sehr kurzfristig entstandenen Künstlerporträts über Franz Erhard Walther der, nach dem ihn Peter Weibel “nach Karlsruhe geholt hatte“, ein beeindruckendes Comeback erlebte.
Auch Christian Jankowski findet zahllose Möglichkeiten, die Betrachter zu aktivieren und so Teil des Kunstwerkes zu werden. Waren die Kunstwerke jedoch bei Walther meist auf den Raum bezogen, wo die Betrachter Teil einer Installation oder sogar selbst Skulptur werden konnten, so fokussiert Jankowski in seinen Projekten eher den “Medienraum“ – Video, Internet und Fernsehen sind wichtig für diese Arbeit: Inspiriert bestimmt auch durch Erhard Walther, aber auch durch den eigenen Vater: der Künstler erzählt, wie sein Vater auf den zahlreichen Kulturreisen, die er als Kind mit der Familie miterlebte, “so ziemlich alles” auf Super-8-Film aufgenommen und dann archiviert hatte.
(3.) Sender and Receiver (Corona)
Jankowski nutzt natürlich alle heute verfügbaren Medien – auch, um sich bald zu erweisen als ein scharfer und scharfsinniger Kritiker der Medienöffentlichkeit , der Medienwelt insgesamt. Etwa in der Serie „Sender and Receiver“ arrangiert er Situationen, wo Rollenmuster durcheinandergewirbelt werden: wenn etwa Claus Kleber in seiner Nachrichtensendung live Besuch bekommt oder, da die Arbeits-Serie die “Corona-zeit” reflektiert: Gesundheitsminister Spahn wird interviewt:

(4.) Kunstaktionen im öfentlichen Raum:
Und nicht nur die elektronischen Medien werden zum Gegenstand der künstlerischen Auseinandersetzung: auf dem Titelmotiv seiner Ausstellung “I was told to go with the flow“ steuert Jankowski mit dem Ruder ein Boot, voller Kisten. Diese sind beschriftet mit gängigen Titeln von “Lebenshilfe-Ratgebern“: “Lassen Sie sich nichts gefallen“ oder auch “Die Macht der Sprache“ sind zwei von vielen Beispielen. Unverkennbar, dass der Künstler diesem Zweig der Literatur durch Art und Weise dieser Präsentation eine gewisse Beliebigkeit zuerkennt. Als ich im Gespräch den Verdacht erhebe, dass Jankowski, der seinen bildungsbürgerlichen Hintergrund ja erfrischenderweise nicht verleugnet, die Medienwelt insgesamt als „Verdummungsmaschine“ betrachtet, widerspricht er mir nicht.
Wie auch könnten wir dies anders sehen, nachdem die weitestgehende Durchdringung der Medienöffentlichkeit durch die boulevardmediale Internetwelt hier eine gewisse Gleichschaltung von Information und Kommerz/Werbung bewirkt hat. Als ein neuer Traumberuf gilt ja heute der „Influencer“.
Vielleicht ist es perfide, vielleicht jedoch nur konsequent (und ironisch sowieso), dass Christian Jankowski selbst die Kanäle und, wo es passt, auch die Sprache der Werbung für seine Arbeit einsetzt: Und auch die Formate der modernen Mediengesellschaft werden Teil seiner Kunst: Vergessen wir DSDS; Jankowski präsentiert:

(4.) Casting Jesus
In seinem Projekt “Casting Jesus“ etwa motivierte er mehrere höhere Vertreter der katholischen Kirche zur Teilnahme an einer Jury, die aus einer Reihe von Kandidaten des am besten geeigneten Jesus-Darsteller auszuwählen hatte. Nach der unvermeidlichen anfänglichen Skepsis wuchs dann offenbar die Begeisterung für die Tätigkeit als Juror enorm an. Zu verlockend wohl war die Möglichkeit, die eigenen Überzeugungen einzubringen und sogar in diesem modernen Medienformat zu präsentieren. Jankowski erwiest sich hier als überzeugender Motivator und ja, im besten Sinne, eben auch als Verkäufer:
Aktuell nannte er ein Projekt, das er mit seinen Studenten an der Kunstakademie Stuttgart kürzlich zeigte: „Strictly Commercial“- sicher auch ein pädagogisch richtiger Hinweis darauf, dass die Kunststudenten nicht nur höchst kreativ sein wollen/sollen, sondern bei ihrer Arbeit ja auch zu verkaufbaren Produkten finden müssen, weil sie sonst von ihrer Kunst nicht werden leben können.

Mein persönlicher Eindruck gerade auch nach einem Vierteljahrhundert im Internet: die kommerzielle Welt assimiliert den ganzen Rest. Herbert Marcuses “eindimensionaler Mensch“ findet in der heutigen Medienwirklichkeit erst wirklich zu sich selbst. Die Gleichschaltung aller Lebensbereiche macht auch vor Religion und Philosophie nicht halt.
Und doch gibt es in der “geistigen Welt“ noch dieses berühmte kleine gallische Dorf, wo Asterix und Obelix gut gelaunt und fest entschlossenen Widerstand leisten und allen Eroberungs- und / Vereinnahmungsversuchen ins Imperium widerstehen.
Möglich ist dies dank des genialen – Superkräfte verleihenden – Zaubertranks, den der weise Druide Miraculix nach altem Geheimrezept jedes Mal mischt, wenn es einen Angriff der Römer abzuwehren gilt.
Unser Zaubertrank nun ist die Kunst, der wahrscheinlich letzten verbliebenen Sphäre dieser Welt, wo es uns möglich ist, durch kritisch-reflektierendes Denken Abstand zu finden zu dem, was ist und auch zu dem was wir sind und tun.
Ist aber unser Dorf sicher? Können wir auf Dauer die Kunst, die ja auch zur kommerziellen Welt hin Türen (neudeutsch: Schnittstellen) haben muss, sichern? Oder droht uns eine Unterwanderung durch teuflische Strategien?
“I was told to go with the flow“ nannte Chistian Jankowski seine Schau in Tübingen. But who told him to do so? Fragen wir uns. Was, wenn zum Beispiel Mephisto der geheimnisvolle Einflüsterer wäre, der dem Künstler verführerisch zuhaucht:
Yes, go with the flow“
später dann: Now, you’re on top – you are riding the Wave, go further.
Schließlich glaubt sich Mephisto am Ziel: Its not enough to ride the wave, its been given to you, to navigate the flow- you’re to lead us to a beautiful country; and surely I can help you.

5. Exkurs: Kunst und Wissenschaft
Renaissance 3.0, Peter Weibels (erst im März, kurz nach Weibels Tod, erschien unser Porträt (zu genau diesem Thema) über den großen Visionär) große Abschiedsaustellung, zeigt ja derzeit (bis 08.10.23) in Karlsruhe, wie Wissenschaft und Kunst erneut zusammenfinden. Als verbindende Basis beider Welten führt Weibel an, dass heute beide oft die gleichen Werkzeuge nutzen – die Massendatenverarbeitung und die dazu gehörenden Tools sind hier wichtig.
Angesichts der künstlerischen Arbeit von Christian Jonkowski (auch Mischa Kuball arbeitet in ähnlicher Weise sehr wissensschaftlich) sehen wir weitere Verbindungen zwischen Kunst und Wissenschaft: beide betrachten die Wirklichkeit mit notwendiger und genz bewußter Distanz: der Naturwissenschaftler ist natürlich selbst Teil der Welt, die er analysiert, um sie ür sich selbst und für uns verständlich zu machen. Die Nähe, die er dabei erreicht, basiert auf dem Abstand, den er als Beobachter wahrt und durch sehr exakt definierte Methoden und objektivierende Verfahren definiert. Ähnlich wie die verschiedenen Gesellschaftswissenschafter (Soziologen, Politologen u.a.) nimmt nun Jankowski unser Mediengesellschaft auf seine einzigartige, satirisch-ironische Art in den Blick. Auch er ist Teil der Gesellschaft, die von innen heraus entlarvt und doch für uns gleichzeitig von außen sichtbar macht. Auch hier ist die Distanz absolut notwendig: der Künstler kannn die Welle reiten, doch er ist nicht die Welle.
6. Zusammenfassung:
In den letzten Jahren haben uns die Künstlerporträts immer weiter der Wissenschaft nahe gebracht; klar nun, dass dies kein Zufall ist: Kunst und Wissenschaft können nicht integraler Teil unserer Wirklichkeit werden, von der sie handeln, der Welt, die sie sichtbar machen. Beide bewahren – als das wohl letzte Refugium des Geistes im Sinne Hegels – einen notwendigen und ja: auch elitären Abstand.
Mephisto hat, um zu unserer Erzählung zurück zu kommen, wohl letztlich keine guten Karten- oder, anders gesagt: Miraculix’ altes Geheim-Rezept erweist sich als stärker:
Beruhigt also beenden wir nun unsere Ermittlungen, schließen die Akte und fassen zusammen:
He was told to go with the flow – but
the Art(ist) and
The Art says no.
Jürgen Linde im Mai 2023