Christian Jankowski says no

über Christian Jankowski, who was told to go with the flow

Christian Jankowski im Internet:
Website: https://www.christianjankowski.com
E-Mail: christianjankowski@gmail.com

I was told to go with the flow – so der Titel der retrospektiv angelegten großen Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen in 2022 – endlich Gelegenheit, den international agierenden Künstler persönlich kennenzulernen.

Kurator Christian Jankowski orientiert an einer Medienkonferenz in Zürich am heutigen Dienstag über die Europäische Kunstbiennale Manifesta 2016, für die Zürich den Zuschlag erhalten hat (Bild aktuell).

Aktionen, Konzept, Video, Zeichnung – die Vielfalt der Arbeit Jankowskis ist frappierend. Wieder ein Künstler, der alle Grenzen überschreitet. Dies macht uns neugierig und dann, na ja: ein wenig auch ängstlich:

Nicht zuletzt die rhetorische Stärke, die starke Präsenz des charmant und ironisch/verführerisch – auftretenden Künstlers wirft für mich die Frage auf:

If he was told to go with the flow; who told him to do so?

Sind hier womöglich höhere Mächte im Spiel? Wir erinnern uns gerne an Sigmar Polke: “Höhere Wesen befahlen: rechte obere Ecke schwarz malen”.

Jankowski ist eher kein Schwarzmaler, aber ähnlich wie bei Polke ist seine Arbeit ironisch; verspielt sein Umgang mit den Gegenständen und Themen, die er in den Blick rückt. Was hat er vor, wo will er hin – er, der als der “Travelling Artist“ ja wirklich immer unterwegs ist. Im Gespräch erklärt er mir, dass seine Kunst selten im Atelier entsteht, sondern eher in Bezug zu den Orten, an denen er seine Präsentationen, mal aus eigenem Antrieb, mal auch eingeladen von Freunden seiner Arbeit, zelebriert.

Zeit ist es, eine Ermittlung zu starten. Ermittlungen beginnen ja gewöhnlich, jeder Krimileser weiß dies, mit einer Bestandsaufnahme der vorliegenden Fakten – also: Was haben wir?:
[ In unserer intuitivistisch organisierten Ermittlungsarbeit nutzen wir als zentrale Technik:
Intuitive Momentaufnahmen. ]

Versuchen wir zuerst, uns einen *Überblick zu verschaffen: Immer wieder ist der Künstler, dem konkret (also juristisch) nichts vorzuwerfen ist, auffällig geworden, mit öffentlichen – und sehr öffentlichkeitswirksamen – Live-Aktionen, wobei er auch vor dem Einsatz von Waffen nicht zurückschreckt:

1) DieJagd: | Viele erinnern sich bestimmt an die „Jagd“ – Jankowski ernährte sich eine Woche klang ausschließlich von Lebensmitteln, die er zuvor im Einkaufsladen mit Pfeil und Bogen selbst erlegt hat. Anschließend hat er sie ordnungsgemäß an der Kasse bezahlt; mehrfach wohl auch mit Kreditkarte. Aber immer korrekt. Soweit OK also.

Und dennoch sehen wir schon: die öffentliche Wirkung selbst scheint sein Ziel zu ein; unsere Konsum- und Mediengesellschaft gehört zu den zentralen Themen, die er durch seine Kunstaktionen kritisch beleuchtet.

Mit der Jagd hat er so viel Aufmerksamkeit bewirkt, dass ihn die Hamburger Kunstakademie, die seine Bewerbung als Student zuerst abgelehnt hatte, schließlich doch aufnahm. Jankowsi fährt, das sehen wir schon jetzt, eine Doppelstrategie: er kritisiert die Öffentlichkeit, entlarvt deren Oberflächlichkeit, benutzt sie jedoch gleichzeitig für seine eigenen Zwecke. Einfach nur klug, oder aber (unser Verdacht): ein wenig diabolisch?

Vielleicht, so meine meine Kollegin, Hauptkommissarin Klara Sehen, vielleicht hat ihm hier eine Stimme eingeflüstert: „Gut gemacht, Christian, weiter so – go with the Flow – und gib Gas“.

Ich selbst habe zunehmend den Verdacht, dass Christian Jankowski die Mediengesellschaft, die er angreift und gleichzeitig nutzt, dahingehend durchschaut, dass er sie als Teil der großen Verdummungs-Maschine sieht, als die die Medienwelt uns heute erscheint: Seit das Internet hier dominant wurde, ist ja tatsächlich kaum zu bestreiten, dass die Medien darüber bestimmen, was wir als Wirklichkeit sehen, betimmen, was wichtig ist. Bevor wir dies in Punkt 3 genauer analysieren, wollen wir als ordentliche Ermittler noch den Werdegang des Künstlers ein wenig genauer anschauen:

(2.) Raum durch Handlung
Jankowski hat studiert u.a. bei Prof. Franz Erhard Walther, der ja wahrscheinlich als ein Erfinder der interaktiven Kunst gelten sollte – hier in einem ganz konkreten und körperlichen Sinn: Walther holte die Kunstbetrachter aus ihrer passiven Rolle; er motivierte sie, durch eigene Teilnahme, durch eigene Bewegung Teil der skulpturalen Werke des Künstlers zu werden – Raum durch Handlung war seinerzeit (im Jahr 2012) der Titel der Ausstellung Walthers im Karlsruher ZKM und gleichzeitig dann auch der Titel unseres sehr kurzfristig entstandenen Künstlerporträts über Franz Erhard Walther der, nach dem ihn Peter Weibel “nach Karlsruhe geholt hatte“, ein beeindruckendes Comeback erlebte.

Auch Christian Jankowski findet zahllose Möglichkeiten, die Betrachter zu aktivieren und so Teil des Kunstwerkes zu werden. Waren die Kunstwerke jedoch bei Walther meist auf den Raum bezogen, wo die Betrachter Teil einer Installation oder sogar selbst Skulptur werden konnten, so fokussiert Jankowski in seinen Projekten eher den “Medienraum“ – Video, Internet und Fernsehen sind wichtig für diese Arbeit:

(3) Satirische Medienkritik

(3.a.) Sender and Receiver (Corona)
Jankowski nutzt natürlich alle heute verfügbaren Medien – auch, um sich bald zu erweisen als ein scharfer und scharfsinniger Kritiker der Medienöffentlichkeit , der Medienwelt insgesamt. In der Serie „Sender and Receiver“ arrangiert er Situationen, wo Rollenmuster durcheinandergewirbelt werden: wenn etwa Claus Kleber in seiner Nachrichtensendung live Besuch bekommt oder, da die Arbeits-Serie die “Corona-zeit” reflektiert: Gesundheitsminister Spahn wird interviewt. Das Thema Corona war geradezu ideal für Jankowskis satirischen Überzeichnungen: die Politiker (und andere “öffentliche Personen”) , die hier selbst ständig hemmungslos übertrieben viele Teufel an jede Wand gemalt haben, wurden hier selbst noch tiefer durch den Kakao gezogen, als der Künstler Figuren, die vor Corona durch Ganzkörperkondome (medizinische Kleidung) geschützt, diese Übertreibungen noch multiplizieren: Frappierend sichtbar wird, die die mediale Öffentlichkeit zur Unterhaltungsbühne gemacht wird: auf allen Kanälen (TV, Internet, Print) das gleiche Programm, dieselbe Agenda und dieselben Bewertungen, die wir Zuschauer (oder User) dann nachplappern. Skandalisierung ersetzt Fakten, Einheitsbrei ersetzt differenziertes Nachdenken. Politik und Medien können dies bestens, Christian Jankowski kann es noch besser.
Vielleicht ist es perfide, vielleicht jedoch nur konsequent (und ironisch sowieso), dass Christian Jankowski selbst die Kanäle und, wo es passt, auch die Sprache der Werbung für seine Arbeit einsetzt.

(3.b.) Kunstaktionen im öffentlichen Raum:
Und nicht nur die elektronischen Medien werden zum Gegenstand der künstlerischen Auseinandersetzung: auf dem Titelmotiv seiner Ausstellung “I was told to go with the flow“ steuert Jankowski mit dem Ruder ein Boot, voller Kisten (s. ganz oben). Diese sind beschriftet mit gängigen Titeln von “Lebenshilfe-Ratgebern“: “Lassen Sie sich nichts gefallen“ oder auch “Die Macht der Sprache“ sind zwei Beispiele. Unverkennbar, dass der Künstler diesem Zweig der Literatur durch Art und Weise seiner Präsentation eine gewisse Beliebigkeit zuerkennt.

Zur satirischen Überzeichnung gehört, dass der Künstler aufzeigt, welch heute noch ungehanhten Möglichkeiten die modernen Formate der Medien bergen: “Casting Jesus” (s.u.; 4.) veranschaulicht die Potentiale des Castings etwa im religiösen Raum. Vielleicht sind ja auch die heutigen politischen Wahlen (Ministerpräsidenten, Kanzler) etc. ohnehin nur eine abgewandelte Form des klassischen Castings. Ohnehin reduziert sich die politische Willensbildung auf das TV-Format der Talk-Shows und Bundestagswahlen kulmnieren in den (zwei) Fernseh-Sendungen mit den “Spitzenkandiaten”.

Politiker kommunizieren Meinungen und Entscheidungen zuerst als Tweets im Internet, wo mediale Pop-Stars wie Donald Trump und Elon Mask dann um die Zahl der Follower konkurrireren. Man muss nicht Künstler sein, um dies zu sehen, aber vielleicht kann ein – auch kommunikativ – hochbegabter Künstler, diese Mechanismen zu seinen Zwecken steuern?

Wie auch könnten wir dies anders sehen, nachdem die weitestgehende Durchdringung der Medienöffentlichkeit durch die boulevardmediale Internetwelt hier eine gewisse Gleichschaltung von Information und Kommerz/Werbung bewirkt hat. Als ein neuer Traumberuf gilt ja heute der „Influencer“. Sind nicht auch die Spin-Doktoren in den “Denkfabriken” der Parteien nicht schlicht Influencer?

Und auch die Formate der modernen Mediengesellschaft werden Teil seiner Kunst: Vergessen wir DSDS; Jankowski präsentiert:

(4.) Casting Jesus
In seinem Projekt “Casting Jesus“ etwa motivierte er mehrere höhere Vertreter der katholischen Kirche zur Teilnahme an einer Jury, die aus einer Reihe von Kandidaten des am besten geeigneten Jesus-Darsteller auszuwählen hatte. Nach der unvermeidlichen anfänglichen Skepsis wuchs dann offenbar die Begeisterung für die Tätigkeit als Juror enorm an. Zu verlockend wohl war die Möglichkeit, die eigenen Überzeugungen einzubringen und sogar in diesem modernen Medienformat zu präsentieren. Jankowski erwiest sich hier als überzeugender Motivator und ja, im besten Sinne, eben auch als Verkäufer:

Aktuell nannte er ein Projekt, das er mit seinen Studenten an der Kunstakademie Stuttgart kürzlich zeigte: „Strictly Commercial“- sicher auch ein pädagogisch richtiger Hinweis darauf, dass die Kunststudenten nicht nur höchst kreativ sein wollen/sollen, sondern bei ihrer Arbeit ja auch zu verkaufbaren Produkten finden müssen, weil sie sonst von ihrer Kunst nicht werden leben können.

Mein persönlicher Eindruck gerade auch nach einem Vierteljahrhundert im Internet: die kommerzielle Welt assimiliert den ganzen Rest. Herbert Marcuses “eindimensionaler Mensch“ findet in der heutigen Medienwirklichkeit erst wirklich zu sich selbst. Die Gleichschaltung aller Lebensbereiche macht auch vor Religion und Philosophie nicht halt.

Und doch gibt es in der “geistigen Welt“ noch dieses berühmte kleine gallische Dorf, wo Asterix und Obelix gut gelaunt und fest entschlossen Widerstand leisten und allen Eroberungs- und / Vereinnahmungsversuchen ins römische Imperium widerstehen.

Möglich ist dies dank des genialen – Superkräfte verleihenden – Zaubertranks, den der weise Druide Miraculix nach altem Geheimrezept jedes Mal mischt, wenn es einen Angriff der Römer abzuwehren gilt. Unser Zaubertrank nun ist die Kunst, der wahrscheinlich letzten verbliebenen Sphäre dieser Welt, wo es uns möglich ist, durch kritisch-reflektierendes Denken Abstand zu finden zu dem, was ist und auch zu dem was wir sind und tun.

Ist aber unser Dorf sicher? Können wir auf Dauer die Kunst, die ja auch zur kommerziellen Welt hin Türen (neudeutsch: Schnittstellen) haben muss, sichern? Oder droht uns eine Unterwanderung durch teuflische Strategien?

“I was told to go with the flow“ nannte Chistian Jankowski seine Schau in Tübingen. But who told him to do so? fragen wir uns. Was, wenn zum Beispiel Mephisto der geheimnisvolle Einflüsterer wäre, der dem Künstler verführerisch zuhaucht:

Yes, go with the flow“
später dann: Now, you’re on top – you are riding the Wave, go further.
Schließlich glaubt sich Mephisto am Ziel: Its not enough to ride the wave, its been given to you, to navigate the flow – you should lead us to a beautiful country; and surely, I can help.

5. Exkurs: Kunst und Wissenschaft
Renaissance 3.0: Peter Weibels (erst im März, kurz nach Weibels Tod, erschien unser Porträt (zu genau diesem Thema) über den großen Visionär). Die große Abschiedsaustellung, zeigt ja (noch bis 07.01.2024) in Karlsruhe, wie Wissenschaft und Kunst erneut zusammenfinden. Als verbindende Basis beider Welten führt Weibel an, dass heute beide oft die gleichen Werkzeuge nutzen – die Massendatenverarbeitung und die dazu gehörenden Tools sind hier wichtig.
Angesichts der künstlerischen Arbeit von Christian Jankowski (auch Mischa Kuball arbeitet in ähnlicher Weise wissenschaftlich) sehen wir weitere Verbindungen zwischen Kunst und Wissenschaft: beide betrachten die Wirklichkeit mit notwendiger und ganz bewusster Distanz: der Naturwissenschaftler ist natürlich selbst Teil der Welt, die er analysiert, um sie für sich selbst und für uns verständlich zu machen. Die Nähe, die er dabei erreicht, basiert auf dem Abstand, den er als Beobachter wahrt und durch sehr exakt definierte Methoden und objektivierende Verfahren sichert. Ähnlich wie die verschiedenen Gesellschaftswissenschafter (Soziologen, Politologen u.a.) nimmt nun Jankowski unsere Mediengesellschaft auf seine einzigartige, satirisch-ironische Art in den Blick. Auch er ist Teil der Gesellschaft, die er von innen heraus entlarvt und doch für uns gleichzeitig von außen sichtbar macht. Auch hier ist die Distanz absolut notwendig: der Künstler kannn die Welle reiten, doch er ist nicht die Welle.

6. Zusammenfassung:
In den letzten Jahren haben uns die Künstlerporträts immer weiter der Wissenschaft nahe gebracht; klar nun, dass dies kein Zufall ist: Kunst und Wissenschaft können nicht integraler Teil unserer Wirklichkeit werden, von der sie handeln, der Welt, die sie sichtbar machen. Beide bewahren – als das wohl letzte Refugium des Geistes im Sinne Hegels – einen notwendigen und ja: eben auch elitären – Abstand.

Mephisto hat, um zu unserer Erzählung zurück zu kommen, wohl letztlich keine guten Karten – oder, anders gesagt: Miraculix’ altes Geheim-Rezept erweist sich als stärker:

Beruhigt also beenden wir nun unsere Ermittlungen, schließen die Akte und fassen zusammen:
He was told to go with the flow – but the Art says NO, and

the Artist
Christian Jankowski says NO.
Jürgen Linde im Mai 2023