Es gibt keinen Spiegel? – über den Stahl-Bildhauer Stefan Faas

Doppelporträt über Stefan Faas:
Teil 1: Regina M. Fischer über den Bildhauer Stefan Faas
Teil 2: Jürgen Linde: Es gibt keinen Spiegel?

Aktuelle Projekte von Stefan Faas:

Die Dialektik des Spiegels – vom älter werden.

Bild links: Stefan Faas mit der Skulptur Anthropomir Kephalos XII Spiegelstahl H 180cm Unikat [ vor der Galerie Falkenstern Fine Art, Kampen Sylt ]

Wenn Du jung bist, magst Du Deinen Spiegel, Du staubst ihn ab, bewahrst ihn vor Flecken, Kratzern und sonstigen Schäden; manchmal polierst Du ihn sogar: Dein Bild soll schön bleiben. Eindeutig und klar; Dein Spiegelbild gibt Dir Sicherheit.

Du wirst älter, beginnst, erwachsen zu werden, fragst Dich, wer Du bist. Längst hast Du erkannt: Dein Spiegelbild und Du seid nicht zwingenderweise identisch. Das Spiegelbild kann manipuliert werden – von Dir selbst. Kleidung, Stil, Frisur und Haarfarbe kannst Du leicht ändern – ohne dadurch ein anderer Mensch zu werden. Womöglich stellst Du Dir irgendwann die Frage:
Wie kann ich wissen, was hinter dem Spiegel ist, wenn ich ihn nicht zertrümmere?

Bild oben: | Anthropomir TESTA X, 2018, Spiegelstahl, H 36 cm, 1/5
Anthropocor TESTA L-II 2017, Cortenstahl, H 43 cm , 1/5

Weil Du ein ernsthafter Typ und mutig bist, zertrümmerst Du den Spiegel. Diese Entscheidung war schwer, doch spürst Du sicher, sie bringt Dich weiter. Dennoch bleiben Zweifel und viele Fragen; vielleicht richten sie sich nun mehr nach innen.

Die Jahre gehen ins Land, Dein Leben und alle äußeren Bedingungen ändern sich …Da Du weiterhin ernsthaft – möglicherweise sogar etwas starrsinnig –  bist, fragst Du noch immer nach Deiner Identität, nach Deinem Selbst.

Die wohl meisten Menschen leben und sterben, ohne auf diese Fragen eine Antwort gefunden zu haben.
Manche aber, möglicherweise auch Du, werden erwachsen und erkennen die Wahrheit:

Es gibt keinen Spiegel.
Jürgen Linde im Jahr 2021

Bild rechts: Anthropomir TESTA V, 2016, Spiegelstahl, H 36 cm, 1/5

Diese kurze Geschichte, die, mit der ich, als ich sie vor wenigen Jahren schrieb, eine für mich wichtige Wahrheit – das eigene Leben betreffend – formulierte, erscheint mir immer noch wahrhaftig und treffend.

Doch die ständige Auseinandersetzung mit Kunst erweitert den Blick und relativiert vieles, was zuvor klar und eindeutig erschienen war: die Spiegelstahl-Skulpturen von Stefan Faas zeigen uns: zweifelsfrei gibt es Spiegel, doch zeigen diese nicht die eine, statische (?) Wirklichkeit oder Wahrheit, sondern sie machen die Vielfalt der Wirklichkeit sichtbar, die wohl unendlich vielen Möglichkeiten: beim Herumgehen um die Skulpturen verändern sich ständig die Bilder,die wir sehen. Was ja sowieso für alle Skulpturen gilt, gilt für diese Spiegel-Werke in potenzierter Weise. Auf der art Karlsruhe, wo ich diese Arbeiten zuletzt wieder erleben durfte, war auch viel Bewegung am Ausstellungsstand des Künstlers, so dass ständig auch neue Menschen ins Bild rückten, während andere aus dem Blick gerieten.

Einmal mehr zeigt sich: Kunst macht sichtbar und die besondere Kunst des Stahlbildhauers Stefan Faas zeigt uns besonders deutlich: was wir sehen, hängt nicht nur, das wußten wir schon, davon ab, wie und wie gut wir das, was (physikalisch) der Fall ist, geistig reflektieren und in Verbindung bringen mit anderen Erfahrungen und Vorstellungen, Wünschen, Ängsten und Träumen: Was wir sehen, ist in mehrfachem Sinne – auch ganz konkret –  eine Frage des eigenen Point of View. Das Licht selbst und die Kunst verändern ständig unsere Perspektive.  Auch dies macht Kunst anstrengend, und schön – erkenntnisbringend und bewegend.

Bild unten: Ausstellungsansicht, „Stefan Faas – Reflexionen“, Landratsamt Enzkreis 2018

Die Künstler wissen um die Kontingenz der Wirklichkeit, um die enorme Dynaymik der in dieser liegenden Veränderbarkeit – also doch:

Es gibt keinen Spiegel?
Jürgen Linde im Mai 2023