Harald Kille: Malerei

Internet: www.haraldkille.info
E-Mail: harald.kille@web.de

“Zur Lage der Welt“ war unser Titel des ersten Künstlerporträts über Harald Kille – im Jahr 2006. In den 15 Jahren seither hat sich viel bewegt. Harald Kille lebt heute in Oberderdingen/Flehingen, wo er großzügige Lager- und Atelier-Räume gefunden hat. Inwieweit die Lage der Welt sich seither verändert hat, ist ein ganz anderes Thema – weiterhin aber das Thema des Künstlers Harald Kille, der sich immer schon mit Gesellschaft und Politik auseinandersetzt.

Kille gibt in seiner Kunst jedoch keine (politischen oder sonstige) Werturteile ab, sondern er stellt uns Fragen, die man als sehr persönlich wahrnehmen kann: Was und wo bist Du in dieser Welt, nimmst Du daran irgendwie teil, bist Du überhaupt da? Was ist Realität?

“Im Reich des Gelben – Donald Trump, Steve Bannon, Kommunikationsdirektorin Hope Hicks”, Öl auf Baumwolle, 160 x 200 cm; Serie Fluchtkorridor 2 2017 (Foto: TT)
Serie Fluchtkorridor 2 2017 (Archivseite)
© Harald Kille, VG Bildkunst Bonn, 2021

Kunst und Politik – eine sehr schwierige Verbindung. Ich denke, dass Kunst immer auch politisch ist: wenn die Kunst uns die Wirklichkeit zeigt, so zeigt sie uns gleichzeitig auch immer mehr, sie lässt uns erahnen, dass ja alles auch anders sein könnte – die Welt, wie sie tatsächlich ist, schrumpft dabei auf „eine Möglichkeit von potentiell unendlich vielen“. Diktatorische Regime wissen sehr gut, warum sie jede Form freier Kunst verhindern/verbieten.

Harald Kille malt Bilder zu politischen Themen, Öl auf Leinwand, sein Standardformat ist mit 160 x 200 cm eher nicht Wohnzimmer/Überm blauen Sofa- kompatibel. Fast immer produziert er Bildserien von 12 Arbeiten zu einem Thema – eine Serie entsteht in etwa einem Jahr. Input, Inspiration sind meist Bilder aus den Medien (Zeitungen, TV) und Menschen, menschliche Figuren dominieren die Bilder.

Wie in den Medien sind es meist prominente Gesichter, die der Künstler klar erkennbar zeichnet: Erdogan, Nethanjahu, Wolfgang Schäuble und viele andere.

“Nach dem Flugzeugabschuss – Erdogan bei Putin” (2017, Öl auf Baumwolle, 160 x 200 cm)
Serie Fluchtkorridor 1, 2017 (Foto: TT)
© Harald Kille, VG Bildkunst Bonn, 2021

Während aber seinerzeit die politischen Bezüge oft explizit waren (Harald Killes Abu Ghraib-Serie erzielte einiges Aufsehen), ist es heute so, dass die einzelnen Personen eindeutig nicht im Mittelpunkt stehen. Stattdessen zeigt uns der Künstler ein Bild der realen Welt, das Bild der Welt, das wir aus den Medien kennen. Die Arbeiten von Harald Kille sprechen uns an, fragen: ist das die Welt, in der wir leben, ist das die Welt, in der DU lebst?

Der Künstler erläutert anschaulich, wie aus den (ihm als PC-Ausdrucke vorliegenden) Inspirationsbildern, die dann – im Endergebnis sehr raumgreifenden – Ölgemälde Schicht für Schicht entstehen. Bei der bildnerischen Arbeit entwickelt sich eine Eigendynamik: es geht irgendwann im Verlauf des Malprozesses “mit dem Bild nicht weiter” und dann, so Harald Kille “sagt das Bild selbst, wo es hin will“. Fast immer bedeutet dies, dass Harald Kille nochmal neu beginnt mit der jeweiligen Arbeit.

Harald Kille ist zuerst Maler, aber ist auch auch Musiker: er selbst spielt Gitarre und komponiert Musik. Im Atelier liegt jederzeit ein Notenblatt bereit; aktuell schreibt er gerade ein Stück für Klarinette und Gitarre. Insofern ist nicht verwunderlich, dass der Künstler auch seine Malerei immer wieder mit Begriffen aus der Musik erläutert: die großen Ölbilder sind erst fertig, wenn die gesamte Komposition, wenn die Symphonie stimmt. Dazu gehören der Farbklang des gesamten Werkes als auch jedes einzelne Detail im Bild.

“Feuer am Fuß der Säule – General Mustafa Fawa und Zivilistin Um Abdo, Syrien ” (2017, Öl auf Baumwolle, 160 x 200 cm); Serie Fluchtkorridor 1 2017 (Foto: TT)
© Harald Kille, VG Bildkunst Bonn, 2021

Von vielen Künstlern kennen wir die Formulierung, dass der Künstler “Respekt haben soll vor seinem Material“. Harald Killes Arbeitsweise erscheint mir noch radikaler: den Respekt gegenüber dem Material ergänzt hier eine gewisse Demut vor dem Werk, vor der Malerei.

Harald Kille hat seine abstrakte Phase – auch er kam an der konkreten Kunst nicht ganz vorbei – hinter sich gelassen, er spricht sogar von der (Gefahr einer) “elfenbeinturmhaften“ Kunst, die den Bezug zum richtigen Leben verliert. “Form ohne Inhalt ist Quatsch“ sagt er nebenbei.
Stattdessen ist Killes Malerei heute sehr malerisch, sehr sinnlich und die Werke gehen direkt – fast aggressiv – auf den Betrachter zu.
Und das ist gut; das ist Kunst.

Harald Kille, © Foto: privat

Kille ist als Maler auch Denker, der seine besondere Vorgehensweise und den Bilderschaffungsprozess reflektiert; er schreibt selbst:
Die Hinterfragung des Offensichtlichen (was steht hinter den Dingen?) kann nur durch einen Malprozess des Zerstörens und Wiederaufbauens, des erneuten Zerstörens und Aufbauens usw. erreicht werden. Die Eigendynamik, die so entsteht, bedingt sowohl die Entwicklung einer bildeigenen Ästhetik und einer bildeigenen Entwicklung der Thematik. Erst wenn das Bild die notwendigen Schritte vorgibt, führt das unweigerlich zu seiner ästhetischen und thematischen Autonomie. So entsteht eine totale Malerei, eine autonome Bildsprache, die die Klischeevorstellungen über die Realität nachhaltig ins Wanken bringen kann. Und das wäre ein Ziel: das oft totgesagte Medium Malerei zu einer Fragemaschine zu machen, die unhinterfragte, vorgegebene (Klischee-)Antworten unwirksam macht und die Frage nach der Realität eindringlich ins Bewußtsein rückt.”

Harald Kille befasst sich ständig mit Politik und Gesellschaft – mit LEIDENschaft. Kille ist aber kein Politiker, sondern Künstler, zum Glück, und, was er uns zeigt, sind komplex entstehende Farbkompositionen; es geht ihm um den Bezug seiner Kunst zum Betrachter und um den Bezug von uns Betrachtern zur realen Welt, zum Leben. All dies macht er sich und uns nicht einfach.

Harald Kille zeigt uns reine
Malerei.
Jürgen Linde im Juli 2021